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Die weiße Garde

Die weiße Garde

Titel: Die weiße Garde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michail Bulgakow
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Zug:
    »Uff! Uff!«
    Dann gingen die drei rasch weiter, bogen um die Ecke und verschwanden.
    Vom Platz her kamen eilig zwei Gestalten, Studenten wohl, in die Gasse. Einer war klein, stämmig, sorgfältig angezogen, mit blanken Galoschen. Der andere war groß, breitschultrig und hatte lange O-Beine, mit denen er Riesenschritte nahm.
    Beide hatten den Kragen bis zum Mützenrand hochgeschlagen, und bei dem großen waren sogar das rasierte Kinn und der Mund vom Schal verdeckt, kein Wunder bei dem starken Frost. Beide wandten wie auf Kommando den Kopf nach den Leichen des Hauptmanns Pleschko und des anderen, der mit dem Gesicht nach unten lag und dessen Beine zur Seite verrenkt waren, doch sie sagten nichts und gingen weiter.
    Erst später, als die Studenten aus der Rylski-Gasse in die Shitomirskaja-Straße eingebogen waren, wandte sich der Große dem Kleinen zu und sagte mit heiserem Tenor:
    »Hast du gesehen? Hast du gesehen, frage ich?«
    Der Kleine antwortete nicht, er verzog nur das Gesicht und stöhnte, als habe er plötzlich Zahnschmerzen.
    »Das vergesse ich nicht, solange ich lebe«, fuhr der Große fort und ging schwungvoll weiter. »Ich werde immer daran denken.«
    Der Kleine folgte ihm schweigend.
    »Dank für die Lehre. Aber wenn mir jemals dieser Halunke übern Weg läuft, der Hetman …« Aus dem Schal kam ein Zischen, gefolgt von einem scheußlichen Fluch. Die beiden erreichten die Bolschaja-Shitomirskaja-Straße, wo ihnen ein Zug Menschen, der sich zum Staro-Gorodskoi-Polizeirevier bewegte, den Weg versperrte. Der Zug hätte vom Platz aus eigentlich geradeaus gehen können, aber die Wladimirstraße war noch von der zurückkehrenden Kavallerie verstopft, und so mußte er wie alle einen Umweg machen.
    An der Spitze lief ein Schwarm Bengels. Sie sprangen, wackelten mit dem Hintern und stießen gellende Pfiffe aus. Dann folgte auf der festgetrampelten Fahrbahn ein Mann mit vor Angst und Verzweiflung irrlichternden Augen, in aufgeknöpfter und zerrissener Bekesche, mit unbedecktem Kopf. Sein Gesicht war blutig geschlagen, aus den Augen liefen Tränen. Er öffnete den breiten Mund und schrie mit hoher, aber heiserer Stimme in einem Gemisch aus russischen und ukrainischen Wörtern:
    »Ihr habt dazu kein Recht! Ich bin ein berühmter ukrainischer Dichter. Ich heiße Gorbolas. Ich bin der Verfasser der ›Anthologie ukrainischer Poesie‹. Ich werde mich beim Vorsitzenden der Rada und beim Minister beschweren. Das ist unglaublich!«
    »Schlagt ihn, den Halunken, den Taschendieb!« schrien die Menschen vom Bürgersteig.
    »Ich wollte doch den bolschewistischen Provokateur festnehmen«, schrie der Mann hysterisch und drehte sich nach allen Seiten um.
    »Was, was, was?« rief es von den Bürgersteigen.
    »Wen hat man dort festgenommen?«
    »Ein Anschlag auf Petljura.«
    »Was Sie nicht sagen!«
    »Er hat auf unser Väterchen geschossen, der Halunke.«
    »Er ist doch ein Ukrainer.«
    »Ein Lump ist er und kein Ukrainer«, brummte eine Baßstimme. »Geldbörsen hat er rausgeschnitten.«
    Ringsum pfiffen verächtlich die Jungs.
    »Was ist los? Mit welchem Recht?«
    »Ein bolschewistischer Provokateur ist gefaßt worden. Man müßte ihn auf der Stelle totschlagen.«
    Dem übel Zugerichteten folgte eine aufgeregte Menge, in der sich goldgestickte Papachaschwänze und die Läufe zweier Gewehre abhoben. Ein Subjekt, mit einer bunten Schärpe umwickelt, ging breitbeinig neben dem Gefangenen und schlug ihm, wenn er besonders laut schrie, mechanisch die Faust ins Genick; dann hörte der unglückliche Gefangene, der das Unfaßbare begreifen wollte, zu schreien auf und brach in heftiges, aber lautloses Schluchzen aus.
    Die beiden Studenten ließen den Zug vorbei. Als dieser sich ein Stück entfernt hatte, faßte der Große den Kleinen unterm Arm und flüsterte schadenfroh:
    »Geschieht ihm recht. Mir ist direkt leichter ums Herz. Ich will dir was sagen, Karausche: Die Bolschewiken sind in Ordnung. Ehrenwort – sie sind in Ordnung. Das war saubere Arbeit! Hast du gesehen, wie geschickt sie den Redner entkommen ließen? Tapfer sind sie auch. Ich achte sie wegen ihrer Tapferkeit, Teufel noch mal!«
    »Wenn ich jetzt nicht bald was zu trinken bekomme, hänge ich mich auf«, sagte der Kleine leise.
    »Ein guter Gedanke«, stimmte ihm der Große lebhaft zu. »Wieviel hast du?«
    »Zweihundert.«
    »Ich hundertfünfzig. Gehen wir zu Tamara und holen eineinhalb …«
    »Die hat geschlossen.«
    »Sie wird schon aufmachen.«
    Die zwei

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