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Die weiße Garde

Die weiße Garde

Titel: Die weiße Garde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michail Bulgakow
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Mann mit den hellen Haaren.
    Dieser rief, inzwischen seiner selbst und der Menge in den ersten Reihen sicher:
    »Es leben die Räte der Arbeiter-, Bauern- und Kosakendeputierten! Es leben …«
    Die Sonne erlosch plötzlich, auf die Sophia und die Kuppeln legten sich Schatten; Bogdans Gesicht zeichnete sich scharf ab, das des Redners auch. Der helle Haarschopf hüpfte auf seiner Stirn.
    Die Menge lärmte.
    »… die Räte der Arbeiter-, Bauern- und Rotarmistendeputierten. Proletarier aller Länder, vereinigt euch!«
    »Wie? Wie? Was? Hurra!«
    In den hinteren Reihen stimmten einige Männer und ein hoher, klangvoller Tenor »Wenn ich sterbe …« an.
    »Hurra!« erklang es siegessicher an einer anderen Stelle. An einer dritten aber entstand plötzlich Tumult.
    »Haltet ihn! Haltet ihn!« rief eine brüchige Männerstimme böse und weinerlich. »Haltet ihn! Das ist eine Provokation. Er ist ein Bolschewik! Ein Moskowiter! Haltet ihn! Habt ihr gehört, was er gesagt hat?«
    Arme schnellten hoch. Der Redner sprang zur Seite, dann verschwanden seine Beine, sein Leib und dann auch der Kopf, auf den eine Mütze gestülpt wurde.
    »Haltet ihn!« erschallte eine zweite Tenorstimme. »Das ist ein falscher Redner. Faßt ihn, Jungs! Faßt ihn, Bürger!«
    »Halt! Wer? Wer wurde gefaßt? Wer? Niemand!«
    Der Mann mit der hohen Stimme stürmte zum Springbrunnen vor. Dabei machte er Armbewegungen, als wolle er einen großen glitschigen Fisch fangen. Aber der unvorsichtige Stschur, im gegerbten Schafpelz, eine Ohrenklappenmütze auf dem Kopf, sprang vor ihm herum und schrie: »Haltet ihn!« Dann brüllte er plötzlich:
    »Halt, Jungs, meine Uhr ist weg!«
    Einer Frau wurde der Fuß gequetscht, und sie schrie gellend auf.
    »Was, die Uhr? Wo? Lüge! Du wirst nicht entkommen!«
    Jemand faßte den Mann mit der hohen Stimme hinten am Gurt und hielt ihn fest. Im selben Moment versetzte ihm eine große kalte Hand einen etwa anderthalb Pfund schweren Schlag auf Mund und Nase.
    »Uuh!« schrie der Mann mit der hohen Stimme leichenblaß und merkte, daß sein Kopf unbedeckt war. Im gleichen Moment traf ihn eine zweite schmerzhafte Ohrfeige, und eine Stimme brüllte von oben:
    »Hier ist er, der Dieb, der Freibeuter, der Hundesohn. Schlagt ihn!«
    »Was fällt euch ein?« kreischte die hohe Stimme. »Weshalb schlagt ihr mich? Ich bin’s nicht gewesen. Ich nicht! Den Bolschewiken muß man fassen. Auuu!« brüllte er.
    »Oh, mein Gott, mein Gott, Marussja, schnell weg von hier; was geht bloß vor?«
    In der Menge beim Springbrunnen entstand ein rasend rotierender Wirbel, jemand wurde geschlagen, jemand heulte, die Menschen wogten hin und her, der Redner aber war verschwunden. Auf wunderliche, spukhafte Art war er verschwunden, als hätte ihn die Erde verschluckt. Einen Mann schleuderte der Wirbel heraus, aber der falsche Redner hatte ja eine schwarze Mütze gehabt, dieser jedoch lief mit einer Papacha. Drei Minuten später hatte sich der Wirbel beruhigt, als wäre er nie dagewesen, denn ein neuer Redner wurde auf den Springbrunnen gehoben, und von allen Seiten drängte eine fast zweitausendköpfige Menge heran, um ihn zu hören.

    In der weißen Gasse, aus der die neugierige Menge hinter den auseinanderlaufenden Truppen hergerannt war, hielt es der lachlustige Stschur nicht mehr aus und ließ sich vor einem Gartenzaun auf die Bordsteinkante plumpsen.
    »Ich kann nicht mehr!« donnerte er und hielt sich den Bauch. Das Lachen sprudelte wie in Kaskaden aus ihm hervor, seine weißen Zähne blitzten. »Ich krepier vor Lachen wie ein Hund. Wie sie den verdroschen haben, du lieber Gott!«
    »Es ist keine Zeit zum langen Sitzen, Stschur«, sagte sein Gefährte, der Unbekannte mit dem Biberkragen, der dem berühmten gefallenen Fähnrich und Vorsitzenden des »Magnetischen Trioletts« Schpoljanski so verblüffend ähnlich sah wie ein Ei dem andern.
    »Sofort, sofort«, sagte Stschur hastig und erhob sich.
    »Geben Sie mir eine Zigarette, Michail Semjonowitsch«, sagte Stschurs zweiter Gefährte, ein großer Mann in schwarzem Mantel. Er schob die Papacha in den Nacken, eine helle Haarsträhne fiel ihm auf die Stirn, er atmete schwer und prustete, als ob ihm bei diesem Frost zu heiß wäre.
    »Na? War’s schlimm?« fragte der Unbekannte freundlich, schlug den Mantel zurück, holte ein kleines goldenes Zigarettenetui hervor und bot dem Blonden eine deutsche Zigarette ohne Mundstück an. Dieser entzündete sie mit einem Streichholz und sagte nach dem ersten

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