Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die weiße Garde

Die weiße Garde

Titel: Die weiße Garde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michail Bulgakow
Vom Netzwerk:
Nebenzimmer.
    Die Schwester fuhr zusammen und lief hinüber.
    »Mama, du kommst nicht mit. Du bleibst hier. Der Junker lehnt es ab, sich um die Sache zu bemühen, wenn du mitkommst. Er kann festgenommen werden. Bleib ruhig liegen, ich bitte dich.«
    »Irina, hör doch, Irina«, kam es aus dem Nebenzimmer. »Er ist doch tot, er ist erschossen, und du? Was soll ich machen, Irina, was soll ich bloß machen, wenn Felix nicht mehr da ist? Er ist tot. Er liegt im Schnee. Denkst du überhaupt …« Sie brach wieder in heftiges Weinen aus, das Bett knarrte, dann hörte man die Stimme der Hauswirtin:
    »Maria Franzewna, Ärmste, fassen Sie sich, Sie müssen es ertragen.«
    »O mein Gott, mein Gott«, sagte die Junge und kam schnell durch das Wohnzimmer zurück. Nikolka überlief Grauen und Verzweiflung, und er dachte bestürzt: Und wenn wir ihn nicht finden, was dann?

    Vor der allerschrecklichsten Tür, aus der trotz des starken Frostes ein furchtbarer Gestank kam, blieb Nikolka stehen und sagte:
    »Würden Sie vielleicht hier einen Augenblick warten? Denn … denn dort ist so ein Geruch, daß Ihnen vielleicht schlecht wird.«
    Irina sah die grüne Tür, dann Nikolka an, und antwortete:
    »Nein, ich komme mit.«
    Nikolka faßte die schwere Tür an der Klinke, öffnete sie, und sie gingen hinein. Zuerst konnten sie gar nichts sehen. Dann tauchten endlose Reihen leerer Kleiderständer auf. Oben hing ein trübes Lämpchen.
    Nikolka drehte sich besorgt nach seiner Gefährtin um, doch sie ging tapfer neben ihm, nur ihre Wangen waren blaß und die Augenbrauen zusammengezogen. Dadurch erinnerte sie Nikolka an Nai-Turs, doch war die Ähnlichkeit nur flüchtig: Nai hatte ein eisernes Gesicht gehabt, schlicht und kühn, und dieses Mädchen war eine Schönheit, aber keine russische, sie sah fremdländisch aus. Ein wunderbares, herrliches Mädchen.
    Der Geruch, den Nikolka so fürchtete, war überall. Die Dielen, die Wände, die hölzernen Kleiderständer – alles roch. Der Geruch war so schrecklich, daß man ihn förmlich sehen konnte. Die Wände, die Kleiderständer, die Dielen schienen fettig und klebrig zu sein, die Luft dick, es roch nach Aas. An den Geruch übrigens gewöhnt man sich sehr schnell, aber genauer hinsehen und nachdenken sollte man lieber nicht. Nicht zu denken ist sogar das Wichtigste, denn sonst erfährt man sehr bald, was Übelkeit ist. Ein Student im Mantel huschte vorbei und verschwand. Hinter den Kleiderständern links öffnete sich knarrend eine Tür, und ein Mann in Stiefeln kam heraus. Nikolka sah ihn an und wandte rasch den Blick ab, um seine Jacke nicht zu sehen. Die Jacke glänzte wie die Kleiderständer, und auch die Hände glänzten fettig.
    »Was wollen Sie?« fragte er streng.
    »Wir haben ein Anliegen«, sagte Nikolka. »Wir möchten gern den Leiter sprechen … Wir suchen einen Toten. Er ist sicherlich hier.«
    »Was für einen Toten?« fragte der Mann und sah sie mißtrauisch an.
    »Er ist vor drei Tagen auf der Straße gefallen.«
    »Aha, also ein Junker oder Offizier. Von den Haidamaken sind auch welche gefallen. Wer ist es?«
    Nikolka mochte nicht sagen, daß Nai-Turs Offizier war, deshalb antwortete er:
    »Nun ja, er ist auch gefallen.«
    »Es ist ein vom Hetman mobilisierter Offizier«, sagte Irina. »Er heißt Nai-Turs.« Und sie trat auf den Mann zu.
    Dem schien egal zu sein, wer Nai-Turs war, er sah Irina von der Seite an, hustete, spuckte auf den Boden und sagte:
    »Ich weiß nicht recht. Der Unterricht ist schon zu Ende, in den Sälen ist niemand mehr. Die anderen Wächter sind schon weg. Es ist schwer, ihn zu suchen. Sehr schwer. Die Leichen liegen in den unteren Räumen. Es ist schwer, sehr schwer …«
    Irina Nai öffnete ihr Täschchen, holte einen Geldschein hervor und reichte ihn dem Wächter. Nikolka sah weg aus Angst, der Wächter als ehrlicher Mann würde protestieren. Aber er protestierte nicht.
    »Danke schön, Fräulein«, sagte er und wurde lebhaft. »Finden kann man ihn natürlich. Wir brauchen nur eine Erlaubnis dazu. Wenn der Professor es erlaubt, können Sie die Leiche mitnehmen.«
    »Und wo ist der Professor?« fragte Nikolka.
    »Hier im Hause, aber er ist beschäftigt. Ich weiß nicht … Soll ich Sie melden?«
    »Bitte, bitte, melden Sie uns bei ihm«, bat Nikolka, »ich werde den Toten schnell herausfinden.«
    »Gut, ich melde Sie«, sagte der Wächter und ging voran. Sie stiegen die Treppe hinauf und kamen in einen Korridor, wo der Geruch noch schrecklicher war. Dann

Weitere Kostenlose Bücher