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Die weiße Garde

Die weiße Garde

Titel: Die weiße Garde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michail Bulgakow
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menschliches Gesicht erinnerte, auf dem die graue deutsche Schüssel saß. In dem Gebäude schien man einen Teppich zu klopfen. Das Winseln wurde schriller und schwoll dermaßen an, daß es schien, ganz Slobodka wäre mit dem Geheul von tausend Menschen angefüllt.
    »Was soll das?« rief eine Stimme scharf und schallend. Erst als das breite Etwas vor Turbins Augen war, begriff er, daß es seine eigene Stimme war, und er begriff auch deutlich, daß er, wenn das menschliche Geheul noch eine Minute dauerte, mit leichtem und freudigem Herzen die Fingernägel in den Mund des breiten Etwas schlagen und ihn blutig reißen würde. Das Etwas aber riß dieAugen weit auf und wich im Nebel zurück, beeindruckt von dem Ausfall des Feindes.
    »Wofür schlagen Sie ihn?«
    Das nicht wiedergutzumachende Unheil für den künftigen Privatdozenten unterblieb nur deshalb, weil ein Poltern auf der Brücke das Winseln und die Schläge übertönte und ein Strudel die behelmte Visage und Turbin herumwirbelte. Eine neue Menge von desertierten Kosaken und Haidamaken strömte aus dem Rachen von Slobodka zur Brücke. Der Herr Ataman wich zurück und feuerte vier Kugeln über die Köpfe hinweg.
    »Blaue Division, hierher«, rief die Stimme von Oberst Mastschenko hämmernd. Die Mütze mit dem roten Oberteil flog hoch, der Hengst, von den schwarzen Kitteln bedrängt, bäumte sich vor den andrängenden Bajonetten auf.
    »Im Schritt … marsch.«
    Das Schwarze Bataillon der Blauen Division dröhnte mit den knirschenden Schritten hunderter Füße, trug eingeklemmt die berittenen Offiziere mit sich fort, drückte die letzten Reste der provisorischen Holzbrüstung weg, wälzte sich in die schwarze Mündung und jagte die verwirrten Kosaken vor sich her. In dem Poltern war trüb eine Stimme zu hören:
    »Es lebe Vater Petljura!«

    O heimatliche ukrainische Sternennächte.
    O Frieden und selige Ruhe.

    Um neun Uhr abends, als die schwarze Truppe den geehrten Arzt und überhaupt alles vor sich her fegte, herrschte in der STADT jenseits des Flusses in der wunderbaren Wohnung der gewohnte Frieden der Gegenstände und die Verwirrung der Seelen. Jelena ging von einem schwarzen Fenster zum anderen und blickte hinaus, als könnte sie in der dichten Finsternis mit den Lichtern von Slobodka den Bruder sehen. Nikolka und Scherwinski folgten ihr auf den Fersen.
    »Hör doch auf, Lena! Warum machst du dir Sorgen? Ihm passiert schon nichts. Er wird ja wohl auf die Idee kommen abzuhauen.«
    »Wirklich, ihm passiert nichts«, bestätigte Scherwinski, und die pomadisierten Federn auf seinem Kopf sträubten sich.
    »Ach, hört doch auf, mich zu trösten. Vielleicht schleppen sie ihn mit nach Galizien.«
    »Was redest du denn da! Er kommt …«
    »Jelena Wassiljewna!«
    »Gut, ich begleite … Erlauben Sie mal.« Jelena nahm Scherwinski bei den Schultern und drehte ihn zum Licht. »Mein Gott, was ist denn das? Was sind das für Federn? Sie sind verrückt. Wo ist der Scheitel geblieben?«
    »Hi-hi. Er hat sich eine Frisur à la Bolschewik gemacht.«
    »Überhaupt nicht«, log Scherwinski und lief rot an.
    Es war jedoch die Wahrheit. Gegen Abend war Scherwinski bei dem Friseur Jean gewesen, der zwei Monate lang unter Petljura das geheimnisvolle Ladenschild »Barbier« herausgehängt hatte. Hinterher war er noch herumgebummelt, hatte zugesehen, wie Petljuras Stabsoffiziere mit den rotgeschwänzten Mützen mit Autos zum Bahnhof flohen, und war schließlich mit einem schwarzen Arbeitskittel zusammengestoßen. Er wollte rechts ausweichen, der andere auch, dann links … Endlich kamen sie aneinander vorbei.
    »So was, ein ukrainisches Herrchen. Den halben Bürgersteig nimmt er ein. Solche Stöcke mit Goldknauf gehören weggenommen und in die allgemeine Kasse …«
    Nachdenklich und aufmerksam drehte Scherwinski sich um, betrachtete den ölverschmierten Rücken, lächelte, als hätte er etwas darauf gelesen, und murmelte:
    »Man soll sich nicht anlegen. Gratuliere. In der Nacht werden die Bolschewiken in der STADT sein.«
    Er schwenkte den berühmten Stock und änderte plötzlich die Richtung. Mit der Straßenbahn fuhr er zurück zur Lwowskaja-Straße und ging nach Hause in die Diki-Gasse. Zu Hause beschloß er, sein Aussehen zu verändern, und das tat er in erstaunlicher Weise. Statt des anständigen Jacketts trug er nun einen Pullover mit einem Loch auf dem Bauch; der Stock wurde der Mutter zur Aufbewahrung gegeben. Eine scheußliche Mütze mit Ohrenklappen ersetzte die

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