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Die weiße Garde

Die weiße Garde

Titel: Die weiße Garde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michail Bulgakow
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hinter dem Stapel gemacht?«
    Aber der Blutüberströmte antwortete nicht. Da lief der Herr Ataman vor, die Soldaten sprangen zur Seite, um dem hochgeschwungenen Metallstab auszuweichen. Der Herr Ataman hatte den Schlag schlecht berechnet, blitzschnell sauste der Ladestock auf den Kopf nieder. Es knackte, und kein »Och!« kam mehr von dem Mann. Sein Arm bog sich nach hinten, der Kopf zuckte, er brach in die Knie und fiel zur Seite, mit dem anderen Arm weit ausholend, als wollte er möglichst viel von der zertrampelten, kotigen Erde an sich raffen.
    Turbin sah deutlich, wie sich die Finger verkrallten und über den schmutzigen Schnee kratzten. In einer dunklen Blutlache liegend, zuckte der Mann einige Male mit dem Unterkiefer, als würgte es ihn, dann wurde er still.
    Turbin schluchzte sonderbar, wie krächzend, auf und ging betrunken schwankend von der Brücke zu dem weißen Gebäude. Er hob den Kopf zum Himmel, sah eine zischende weiße Laterne und darüber den schwarzen Himmel mit dem blassen Streifen der Milchstraße und den flimmernden Sternen. In der gleichen Minute, als der Liegende sein Leben aushauchte, sah der Arzt am Himmel ein Wunder. Der Stern Venus über Slobodka explodierte plötzlich in der frostigen Höhe wie eine Feuerschlange und sprühte Funken, dann folgte ein ohrenbetäubendes Krachen. Die schwarze Ferne, die lange das Böse mit angesehen hatte, kam endlich dem kraftlosen und kläglichen Mann zu Hilfe. Die Ferne gab einen seltsamen Laut von sich, dann setzte schwerer und langgedehnter Donner ein. Ein zweiter Stern explodierte, aber etwas tiefer, dicht über den schneebedeckten Dächern.

    Die Kosaken, eine graue Herde, ergriffen die Flucht, und niemand konnte sie halten. Es floh auch die Blaue Division, eine ungeordnete Menschenmenge, und die geschwänzten Mützen der Haidamaken tanzten über dem schwarzen Strom. Verschwunden waren der Herr Ataman und Oberst Mastschenko. Hinter ihnen blieb für immer Slobodka mit den gelben Lichtern und der blendenden weißen Lichterkette auf der Brücke zurück. Die schöne, glückliche STADT auf den Bergen schwebte ihnen entgegen.

    Bei der weißen Kirche mit den Säulen löste sich Doktor Turbin plötzlich von der schwarzen Kolonne. Ohne sein Herz noch zu fühlen, ging er mit steifen Beinen direkt auf die Kirche zu. Die Säulen rückten näher, immer näher. Der Rücken brannte wie von tausend Blicken. Mein Gott, hier ist zugenagelt. Kein Mensch zu sehen. Wohin? Wohin? Und da schallte auch schon von hinten das schreckliche, wohlbekannte:
    »Halt!«
    Die Säulen kamen näher. Das Herz stand still.
    »Halt! Haaalt!«
    Da gab sich Doktor Turbin einen Ruck und stürmte davon, daß es ihm ins Gesicht pfiff.
    »Halt! Haltet ihn!«
    Peng. Es krachte. Peng. Es krachte. Schuß. Schuß. Schuß. Die dritte Kolonne. Die vierte. Die fünfte. Der Arzt gewann sein Leben durch Zufall, er stürzte in eine Seitengasse. Auf der beleuchteten, geraden, zugenagelten Alexandrowskaja-Straße würden ihn die berittenen Haidamaken im Nu eingeholt haben. Aber jetzt weiter, hinein in das Netz der krummen schwarzen Gassen. Lebt wohl für immer! Leb wohl, Petljura! Peturra!

    Doktor Turbin zwängte sich in einen Mauerdurchbruch. Eine Minute lang erwartete er den Tod durch Herzschlag und schluckte glühende Luft. Der Wind verwehte die Bescheinigung, wonach er als Arzt für das erste Regiment der Blauen Division mobilisiert sei. Für den Fall, daß er in der leeren STADT der ersten roten Patrouille begegnete. Wer konnte wissen?

    Um 3 Uhr nachts schrillte in der Wohnung die Klingel.
    »Na, was hab ich gesagt!« schrie Nikolka. »Hör auf zu heulen.«
    »Jelena Wassiljewna, das ist er. Hören Sie auf.«
    Nikolka sprang zur Tür, um zu öffnen.
    »Herr du mein Gott!«
    Die goldhaarige Jelena stürzte zu Turbin und prallte zurück.
    »Du bist ja … grau geworden.«
    Turbin blickte stumpf in den Spiegel und lächelte schief, seine Wange zuckte. Dann krauste er die Stirn, zog mit Nikolkas Hilfe den Mantel aus, ging ohne ein Wort ins Eßzimmer, setzte sich auf einen Stuhl und sackte zusammen. Jelena sah ihn an, und wieder liefen ihr Tränen aus den Augen. Scherwinski und Nikolka betrachteten offenen Mundes die weiße Strähne auf dem Kopf.
    Turbin ließ den Blick durch das stille Eßzimmer gleiten, der Blick verweilte auf dem Samowar und studierte minutenlang das Abbild in dem blanken Gefäß.
    »Ja«, stieß er endlich sinnlos hervor.
    Nikolka hörte dieses erste Wort und entschloß sich zu

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