Die weiße Garde
wieder alles, und die Prüfung, die letzte vor dem Beginn des neuen, nie gehörten und nie gesehenen Lebens traf alle gleichermaßen. Der Vorbote war Lariossik. Es geschah Punkt vier an dem Tag, als alle im Eßzimmer zu Mittag beisammen saßen. Sogar Karausche war da. Lariossik erschien im Eßzimmer und war noch festlicher als sonst gekleidet (harte Manschetten). Höflich und dumpf bat er:
»Jelena Wassiljewna, könnten Sie mir zwei Minuten Zeit widmen?«
»Ein Geheimnis?« fragte Jelena verwundert, stand raschelnd auf und ging ins Schlafzimmer.
Lariossik folgte ihr.
»Er hat sich etwas recht Interessantes einfallen lassen«, sagte Nikolka nachdenklich.
Myschlajewski, der von Tag zu Tag finsterer wurde, drehte sich finster um (er verdünnte gerade Sprit am Büfett).
»Was gibt’s?« fragte Jelena.
Lariossik zog Luft durch die Nase, blickte mit schmalen Augen zum Fenster, klapperte mit den Wimpern und hielt folgende Ansprache:
»Jelena Wassiljewna, ich bitte Sie um die Hand von Anjuta. Ich liebe dieses Mädchen. Da sie einsam ist und Sie an ihr Mutterstelle vertreten, habe ich als Gentleman beschlossen, Sie davon in Kenntnis zu setzen und Sie zu bitten, für mich zu werben.«
Jelena zog die Brauen hoch, soweit es ging, und setzte sich in einen Sessel. Eine lange Pause trat ein.
»Illarion«, sagte Jelena endlich, »ich weiß entschieden nicht, was ich darauf sagen soll. Erstens, entschuldigen Sie, Sie haben doch kürzlich erst ein Drama durchgestanden … Sie haben selbst gesagt, das wäre unheilbar.«
Lariossik lief rot an.
»Jelena Wassiljewna, ich habe diese schlechte Frau aus meinem Herzen gerissen. Ich habe sogar ihr Foto zerfetzt. Damit ist Schluß.« Lariossiks Hand schnitt horizontal ein Stück Luft ab.
»Und dann … Sprechen Sie im Ernst?«
Lariossik war beleidigt.
»Jelena Wassiljewna … Ich …«
»Entschuldigen Sie schon. Wenn Sie es ernst meinen, dann Folgendes. Illarion Larionowitsch, Sie sollten trotzdem nicht vergessen, daß Sie Ihrer Herkunft nach nicht zu Anjuta passen …«
»Jelena Wassiljewna, von Ihnen, mit Ihrem Herzen, hätte ich eine solche Entgegnung nicht erwartet.«
Jelena errötete, wurde verwirrt.
»Ich sage das nur deshalb: Ist unter solchen Umständen eine glückliche Ehe möglich? Außerdem, vielleicht liebt sie Sie gar nicht?«
»Das ist was anderes«, sagte Lariossik fest. »Dann natürlich … Dann … Jedenfalls bitte ich Sie, ihr meinen Antrag zu übermitteln.«
»Warum sagen Sie es ihr nicht selbst?«
Lariossik senkte den Blick.
»Ich bin verlegen … schüchtern …«
»Gut«, sagte Jelena und stand auf. »Aber ich möchte Sie warnen … Ich glaube, sie liebt einen anderen.«
Lariossik wechselte die Farbe und folgte Jelena ins Eßzimmer. Auf dem Tisch dampfte bereits die Suppe.
»Fangen Sie ohne mich an, Herrschaften«, sagte Jelena. »Ich komme gleich wieder.«
Im Zimmer hinter der Küche wich Anjuta, die sich in letzter Zeit sehr verändert hatte, mager und auf naive Weise reif und schön geworden war, vor Jelena zurück, machte eine abwehrende Handbewegung und sagte:
»Was sagen Sie da, Jelena Wassiljewna? Ich will ihn nicht.«
»Nun …«, antwortete Jelena erleichtert, »reg dich nicht auf, sag ihm ab, und fertig. Und bleibe ruhig. Du findest schon noch den Richtigen.«
Als Antwort fuchtelte Anjuta mit den Händen und brach, an den Türrahmen gelehnt, plötzlich in Schluchzen aus.
»Was hast du?« fragte Jelena beunruhigt. »Anjuta, was hast du? Wegen solch einer Kleinigkeit?«
»Nein«, antwortete Anjuta schniefend. »Nein, keine Kleinigkeit. Jelena Wassiljewna, ich …« Mit der Schürze verschmierte sie Tränen im Gesicht, und in die Schürze hinein sagte sie: »Ich bin schwanger.«
»Waas? Wie?« fragte Jelena bestürzt in einem Ton, als hätte Anjuta ihr etwas ganz Unwahrscheinliches mitgeteilt. »Wie konntest du, Anjuta?«
Im Schlafzimmer unter dem Falken verstieß Myschlajewski zum erstenmal im Leben gegen eine Regel, die der berühmte Kommandeur der schweren Mörserabteilung seinerzeit aufgestellt hatte: »Ein Artillerieoffizier darf nie die Fassung verlieren. Wenn er sie verliert, taugt er nicht für die Artillerie.«
Oberleutnant Myschlajewski verlor die Fassung.
»Weißt du, Viktor, du bist ja doch ein Lump«, sagte Jelena kopfschüttelnd.
»Meinen Sie wirklich?« sagte Myschlajewski matt und schüchtern und ließ den Kopf hängen.
In der Dämmerung dieses berühmten 2. Februar 1919, an dem das Mittagessen verdorben und
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