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Die weiße Garde

Die weiße Garde

Titel: Die weiße Garde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michail Bulgakow
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Schüssel.«
    »Aaah …«
    »Ach, ihr!«
    Heftig stach der Salmiakgeist in die Nase. Karausche und Jelena öffneten Myschlajewski den Mund. Nikolka hielt ihn fest, und Turbin goß ihm zweimal das milchig gewordene Wasser in den Mund.
    »A … kr … uch … tje … fe …«
    »Holt Schnee, Schnee her.«
    »O mein Gott. Mußte das sein … ?«
    Ein nasser Lappen lag auf der Stirn, daraus tropfte es auf die Laken, unter dem Lappen waren die verschwollenen Lider und die verdrehten, entzündeten Augäpfel zu sehen, bläuliche Schatten lagen um die spitz gewordene Nase. Eine Viertelstunde lang stießen sie einander mit dem Ellbogen, hasteten hin und her, mühten sich um den besiegten Offizier, bis er die Augen öffnete und sagte:
    »Ach … laß mich …«
    »So, jetzt ist’s gut, laßt ihn hier schlafen.«
    In allen Zimmern brannte Licht, man lief hin und her und machte die Schlafstellen fertig.
    »Leonid Jurjewitsch, Sie schlafen hier, bei Nikolka.«
    »Zu Befehl.«
    Scherwinski, dunkelrot im Gesicht, aber sich beherrschend, knallte mit den Sporen und zeigte bei der Verbeugung seinen Scheitel. Jelenas weiße Hände flimmerten über den Kissen auf dem Sofa.
    »Bemühen Sie sich nicht, ich mach’s selbst.«
    »Nicht doch, warum zerren Sie das Kissen am Zipfel? Ich brauche Ihre Hilfe nicht.«
    »Erlauben Sie mir, Ihnen die Hand zu küssen.«
    »Aus welchem Anlaß?«
    »Zum Dank für Ihre Bemühungen.«
    »So wird’s gehen. Nikolka, du schläfst in deinem Bett. Na, wie steht’s mit ihm?«
    »Nicht schlecht. Er fühlt sich besser, wird seinen Rausch schon ausschlafen.«
    In dem Raum vor Nikolkas Zimmer wurden zwei Schlafstellen weiß bezogen. Hinter zwei zusammengerückten Schränken voller Bücher. Dieser Raum wurde in der Familie des Professors auch Bücherzimmer genannt.

    Die Lichter im Bücherzimmer, in Nikolkas Zimmer, im Eßzimmer waren erloschen. Durch einen schmalen Spalt zwischen den Bahnen der Portiere drang ein dunkelroter Streifen aus Jelenas Schlafzimmer. Die Nachttischlampe störte sie, deshalb hatte sie ein dunkelrotes Häubchen darübergedeckt, das sie einst auf dem Weg ins Theater getragen hatte. An solchen Abenden hatten ihre Hände, ihr Pelz, ihre Lippen nach Parfüm geduftet, das Gesicht war zart gepudert gewesen, und sie hatte mit dem Häubchen wie Lisa in »Pique Dame« ausgesehen. Aber das Häubchen war im letzten Jahr merkwürdig schnell alt geworden, die Falten waren zerschlissen und hatten ihren Glanz verloren, die Bänder waren abgegriffen. Wie Lisa in »Pique Dame« saß die goldblonde Jelena im Morgenrock, die Hände im Schoß, auf dem aufgedeckten Bett. Ihre bloßen Füße waren in das alte abgenutzte Bärenfell getaucht. Der kurze Rausch war verflogen, und große schwarze Trauer umhüllte ihren Kopf wie eine Haube. Aus dem Nebenzimmer drangen durch die mit einem Schrank verstellte Tür Nikolkas leises Pfeifen und Scherwinskis lebendiges munteres Schnarchen. Im Bücherzimmer des halbtoten Myschlajewski und Karausches war es still. Jelena war allein, deshalb unterhielt sie sich mit dem lichtgefüllten Häubchen und mit den beiden dunklen Fensterflecken – bald halblaut, bald schweigend, kaum die Lippen bewegend.
    »Er ist weg …«
    Sie murmelte es, kniff die trockenen Augen ein und versank in Nachdenken. Ihre Gedanken waren ihr selbst unverständlich. Er ist weggefahren in einem solchen Augenblick. Aber erlauben Sie, er ist sehr vernünftig und hat richtig getan wegzufahren. Das ist doch zum Guten.
    »Aber in einem solchen Augenblick …«, murmelte Jelena und seufzte tief.
    »Was ist er für ein Mensch?« Sie glaubte, ihn zu lieben und sogar an ihm zu hängen. Jetzt empfand sie tiefste Trauer in der Einsamkeit des Zimmers, angesichts der Fenster, die heute an ein Grab erinnerten. Aber weder jetzt noch in den eineinhalb Jahren, die sie mit diesem Mann zusammen gelebt hatte, empfand sie jenes Wichtigste, ohne das auch eine solch glänzende Verbindung – zwischen der schönen goldblonden Jelena und dem Karrieristen vom Generalstab – nicht existieren kann, eine Ehe mit Häubchen, mit Parfüm, mit Sporen, eine unbeschwerte, kinderlose Ehe. Eine Ehe mit einem vorsichtigen Balten vom Generalstab. Was ist das für ein Mensch? Was ist jenes Wichtige, ohne das meine Seele leer ist?
    »Ich weiß, ich weiß«, sagte Jelena zu sich, »die Achtung fehlt. Weißt du, Serjosha, ich achte dich nicht«, sagte sie bedeutsam zu dem roten Häubchen und hob den Finger. Sie erschrak vor dem, was sie gesagt

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