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Die weiße Garde

Die weiße Garde

Titel: Die weiße Garde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michail Bulgakow
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stiegen in immer breiteren Terrassen bergan, funkelten manchmal mit Millionen Sonnenfleckchen, lagen manchmal in zarter Dämmerung, und alles beherrschte der ewige Zarengarten. Die morschen schwarzen Balken der Brüstungen versperrten nicht den Weg zu den schrecklich tiefen Schluchten. Die Steilwände, von Schnee verweht, fielen auf die unteren Terrassen, und diese dehnten sich immer weiter aus, gingen über in die Haine an der Chaussee, die sich am Ufer des großen Flusses entlangwand, und das vereiste dunkle Band verlor sich im fernen Dunst, wohin ihm das menschliche Auge nicht einmal von den Höhen aus folgen konnte, dahin, wo die grauen Stromschnellen waren, die Saporoger Setsch, Chersones und das ferne Meer.
    Wie in keiner anderen Stadt der Welt senkte sich im Winter Ruhe auf die Straßen und Gassen der oberen STADT auf den Bergen und der unteren STADT in der Schleife des vereisten Dneprs, das Getöse der Maschinen verkroch sich in die Steinbauten, wurde leiser und dumpfer. Die ganze Energie der STADT, im sonnen- und gewitterreichen Sommer aufgespeichert, entlud sich in Licht. Das Licht flammte schon ab vier Uhr nachmittags auf in den Fenstern der Häuser, in den elektrischen Kugeln, in den Gaslaternen, in den erleuchteten Hausnummern und in den Fensterreihen der Kraftwerke, die Gedanken an eine schreckliche, hastig elektrische Zukunft der Menschheit weckten, in den Fensterreihen, durch die die mächtigen Räder rastlos rotierender Maschinen zu sehen waren, die das Innere der Erde zu erschüttern schienen. Die STADT spielte mit dem Licht, sie funkelte, leuchtete, tanzte und schillerte die Nächte durch bis zum Morgen, am Morgen aber erlosch sie und hüllte sich in Rauch und Dunst.
    Am schönsten aber funkelte das elektrische weiße Kreuz in den Händen des riesigen Wladimir auf dem Wladimir-Hügel; es war weithin zu sehen, und im Sommer zeigte es sich den Booten durchs undurchdringliche Dunkel, durchs Weidicht und über die verworrenen Buchten und Windungen des alten Flusses hinweg, half ihnen, sich zu orientieren und den Rückweg zur STADT, zu ihren Anlegestellen zu finden. Im Winter funkelte es in der schwarzen Höhe des Himmels und beherrschte kalt und ruhig die dunklen flachen Weiten des Moskauer Ufers, von dem zwei riesige Brücken herüberführten. Eine war die schwere Nikolaus-Kettenbrücke, die zu der Vorstadt am anderen Ufer führte, die andere eine hohe pfeilartige Brücke, über die die Züge kamen von dort, wo weit, sehr weit weg, seine bunte Mütze ausbreitend, das geheimnisvolle Moskau lag.

    Jetzt, im Winter des Jahres 1918, lebte die STADT ein merkwürdiges, unnatürliches Leben, das wahrscheinlich im zwanzigsten Jahrhundert nicht mehr seinesgleichen finden würde. Hinter den steinernen Hauswänden waren sämtliche Wohnungen überfüllt. Die alteingesessenen Bewohner rückten nolens volens immer mehr zusammen, den geflüchteten Neuankömmlingen zuliebe, die der STADT zustrebten. Diese kamen über die pfeilartige Brücke, aus dem geheimnisvoll blauen, fernen Dunst.
    Es flüchteten grauhaarige Bankiers mit ihren Frauen, es flüchteten erfolgreiche Geschäftsleute, die in Moskau Vertrauenspersonen zurückgelassen und ihnen aufgetragen hatten, Verbindung zu halten mit dem Neuen, das im Moskauer Reich im Entstehen war, es flüchteten Hausbesitzer, die ihre Häuser treuen geheimen Verwaltern überlassen hatten, Industrielle, Kaufleute, Juristen, Politiker. Es flüchteten Journalisten aus Moskau und Petersburg, käuflich, habgierig, feig. Es flüchteten Kokotten, anständige Damen aus aristokratischen Familien, ihre verwöhnten Töchter, blasse Petersburger Halbweltdamen mit karminrot gefärbten Lippen. Es flüchteten die Sekretäre der Departementsdirektoren, junge passive Päderasten. Es flüchteten Fürsten und Knauser, Dichter und Wucherer, Gendarmen und Schauspielerinnen der kaiserlichen Theater. Diese ganze Masse sickerte durch den schmalen Spalt und nahm ihren Weg in die STADT.
    Während des ganzen Frühlings, seit der Wahl des Hetmans, füllte sie sich immer mehr mit Neuankömmlingen. In den Wohnungen schlief man auf Sofas und Stühlen. In reichen Wohnungen speisten große Gesellschaften. Man eröffnete eine Unmenge Imbißstuben, die bis tief in die Nacht auf hatten, Cafés, in denen man Kaffee und auch eine Frau erstehen konnte, ein neues Miniaturtheater, auf dessen Brettern die berühmtesten Schauspieler aus beiden Hauptstädten Faxen machten und das Volk belustigten, das berühmte Theater

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