Die weiße Garde
»Lila Neger« und in der Nikolajewskaja-Straße der imposante, bis zum hellen Morgen mit Tellern klirrende Klub »Dreschma« (Dichter – Regisseure – Schauspieler – Maler). Neue Zeitungen erschienen, in denen die besten Federn Rußlands Feuilletons veröffentlichten und die Bolschewiken beschimpften. Droschkenkutscher karrten ihre Kunden von einem Restaurant ins andere, nachts spielte im Kabarett eine Streichkapelle, durch Tabakrauch leuchteten in überirdischer Schönheit die blassen ausgemergelten Gesichter der kokainsüchtigen Prostituierten.
Die STADT schwoll an, breitete sich aus, quoll über wie ein Topf mit Sauerteig. Bis zum Morgengrauen raschelten die Spielklubs, dort spielten Persönlichkeiten aus Petersburg und aus der STADT, gewichtige und stolze deutsche Leutnants und Majore, von den Russen gefürchtet und geachtet. Es spielten Neger aus den Moskauer Klubs und ukrainisch-russische, schon am seidenen Faden hängende Gutsbesitzer. Im Café Maxim trillerte wie eine Nachtigall ein charmanter molliger Rumäne auf der Geige, seine Augen mit den weißblauen Augäpfeln waren wunderschön, traurig und schmachtend, sein Haar glich Samt. Die mit Zigeunertüchern behängten Lampen warfen zweierlei Licht – nach unten weißes, nach den Seiten und nach oben orangefarbenes. Wie ein Stern aus verstaubter blauer Seide breitete sich die Decke aus, in den blauen Logen funkelten Brillanten, glänzten rötliche sibirische Pelze. Es roch nach gebranntem Kaffee, nach Schweiß, Sprit und französischem Parfüm. Den ganzen Sommer des Jahres achtzehn jagten durch die Nikolajewskaja-Straße Luxusfiaker, auf dem Bock hochmütige Kutscher in Wattejacke, und in der Nacht standen bis zum hellen Morgen lange Reihen von Autos mit brennenden Scheinwerfern. In den Schaufenstern der Läden wogten Blumenmeere, wie Balken aus goldgelbem Fett hingen Störrücken, Adlerwappen und Siegel funkelten verführerisch an Flaschen herrlichen Schaumweins »Abrau«.
Und den ganzen Sommer, den ganzen Sommer hindurch drängten immer Neue herein. Es kamen knorpelige weiße Solosänger mit grauen Stoppeln im Gesicht, mit glänzenden Lackstiefeln und frechen Augen, es kamen Mitglieder der Staatsduma mit Kneifer, Huren mit klangvollen Namen; Billardspieler gingen mit den Weibern in die Läden, um ihnen Lippenstifte und Batisthosen mit ungeheurem Schlitz zu kaufen.
Briefe wurden durch das einzige noch offene Loch gejagt, durch das undurchsichtige Polen (der Teufel mochte wissen, was dort los war und was das überhaupt für ein neues Land war), nach Deutschland, in das große Land der ehrlichen Teutonen, Briefe mit Visaanträgen und Geldüberweisungen, denn alle ahnten, daß sie wahrscheinlich weiter und immer weiter fahren müßten, dorthin, wo der schreckliche Krieg und das Getöse der bolschewistischen Kampfregimenter sie nicht erreichen konnten. Sie träumten von Frankreich und Paris, traurig bei dem Gedanken, daß es sehr schwer, fast unmöglich war, dorthin zu gelangen. Noch trauriger waren sie bei den schrecklichen und nicht ganz klaren Gedanken, die sie plötzlich in schlaflosen Nächten auf den fremden Sofas überfielen.
Was wird?, was wird?, was wird, wenn dieser eiserne Kordon platzt … und die Grauen hierherströmen? Ach, schrecklich … Solche Gedanken kamen, wenn aus weiter Ferne dumpfe Kanonenschüsse drangen – in der Umgebung der STADT wurde den ganzen strahlenden, heißen Sommer über geschossen, obwohl allerorts die metallenen Deutschen die Ruhe sicherten, und in den Vororten gar gab es dauernd Schießereien: da-da-da.
Wer auf wen schoß, wußte niemand. Das war nachts. Am Tag beruhigte man sich, denn über den Krestschatik, die Hauptstraße, oder durch die Wladimirstraße zog von Zeit zu Zeit ein deutsches Husarenregiment. Ach, was war das für ein Regiment! Zottige Mützen saßen über den stolzen Gesichtern, schuppige Riemen umspannten die steinernen Kinnladen, die rotblonden Schnurrbärte zeigten wie Pfeile nach oben. Die Pferde in den Schwadronen waren eins wie das andere groß, fuchsrot, und die graublauen Uniformröcke lagen den sechshundert Reitern an wie die gußeisernen Uniformen ihren üppigen deutschen Führern auf den Denkmälern des Städtchens Berlin.
Bei ihrem Anblick freuten und beruhigten sich die Bedrängten, grinsten schadenfroh durch den Stacheldraht der Grenzsicherung und sagten zu den fernen Bolschewiken:
»Wagt es nur!«
Sie haßten die Bolschewiken. Aber das war kein offener Haß, der den Hassenden
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