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Die weiße Garde

Die weiße Garde

Titel: Die weiße Garde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michail Bulgakow
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Myschlajewski erhob sich, wankte und hielt sich am Tisch fest. Jelena hatte sich auch erhoben. Ihre goldene Sichel hatte sich gelöst, die Strähnen hingen an den Schläfen herunter. »Wennschon! Wennschon! Und wenn er tot ist!« rief sie heiser. »Egal. Ich trinke. Ich trinke.«
    »Niemals, niemals wird ihm seine Abdankung auf der Station Dno verziehen. Niemals. Aber wir haben jetzt bittere Erfahrungen gesammelt und wissen, daß nur eine Monarchie Rußland retten kann. Deshalb, wenn der Imperator tot ist: Es lebe der Imperator!« rief Turbin und hob sein Glas.
    »Hur-ra! Hur-ra! Hur-ra!« donnerte es dreimal durch das Eßzimmer.
    Unten fuhr Wassilissa hoch, in kalten Schweiß gebadet. Schlaftrunken schrie er auf und weckte Wanda Michailowna.
    »O Gott, o Go … , Go …«, murmelte sie und klammerte sich an sein Hemd.
    »Was ist denn das? Es ist doch drei Uhr nachts!« jammerte Wassilissa unter Tränen, an die schwarze Decke gewandt. »Ich werde mich doch noch beschweren!«
    Wanda heulte los. Plötzlich erstarrten beide. Von oben her drang durch die Decke eine dicke ölige Welle, über der ein machtvoller Bariton schwebte, klangvoll wie eine Glocke:
    … mächtiger Herrscher,
herrsche zum Ruhme …
    Wassilissa blieb das Herz stehen, selbst seine Füße bedeckten sich mit kaltem Schweiß. Die hölzerne Zunge mühsam bewegend, murmelte er: »Nein … die sind bestimmt geisteskrank … Sie können uns in eine ausweglose Situation bringen. Die Hymne ist doch verboten! O Gott, was machen die bloß? Man hört das doch, man hört es doch auf der Straße!«
    Seine Wanda hatte sich wie ein Stein herumgewälzt und war eingeschlafen. Wassilissa legte sich erst hin, als der letzte Akkord oben in dumpfem Gepolter und in Ausrufen schmolz.
    »In Rußland ist nur eines möglich: orthodoxer Glaube und Selbstherrschaft!« schrie Myschlajewski wankend.
    »Stimmt!«
    »Ich hab … vor einer Woche … ›Paul I.‹ gesehen …«, murmelte Myschlajewski mit steifer Zunge. »Und als der Schauspieler diese Worte sagte, hab ich’s nicht ausgehalten und ›stimmt‹ geschrien. Und was glaubt ihr, ringsum hat alles applaudiert. Nur irgendein Lump rief ›Idiot!‹ vom Rang.«
    »Jidden«, rief der betrunkene Karausche finster.
    Nebel. Nebel. Nebel. Ticktack … ticktack. Wodka zu trinken war unmöglich, Wein zu trinken war unmöglich, sie gehen in die Seele hinein, kommen aber gleich wieder heraus. In der schmalen Toilette, wo die Lampe an der Decke wie verhext hüpfte und tanzte, verschwamm alles. Der blasse Myschlajewski mußte sich schwer übergeben. Turbin, selbst betrunken, mit der zuckenden Wange und den auf der Stirn klebenden Haaren schrecklich anzusehen, hielt ihn fest.
    »Aah …«
    Endlich wich Myschlajewski stöhnend vom Klobecken zurück, verdrehte schmerzhaft die erlöschenden Augen und blieb in Turbins Armen hängen wie ein leerer Sack.
    »Nikolka«, tönte eine Stimme durch Rauch und schwarze Streifen, und Turbin begriff erst nach einigen Sekunden, daß es seine eigene war. »Nikolka!« wiederholte er. Die weiße Wand der Toilette wankte und färbte sich grün. O Gott, ist mir übel! Nie wieder, das schwöre ich, nie wieder trinke ich Wodka und Wein durcheinander. »Nikol …«
    »Aah …«, röchelte Myschlajewski und sackte zu Boden.
    Der schwarze Spalt verbreiterte sich, Nikolkas Kopf und seine Tressen erschienen.
    »Nikolka … hilf mir, nimm ihn. Nimm ihn so, unter den Arm.«
    »Ach, ach, z-z-z«, murmelte Nikolka, schüttelte mitleidig den Kopf und spannte sich. Der halbtote Körper pendelte hin und her, die Beine rutschten scharrend weg, der Kopf hing wie an einem Faden. Ticktack. Die Uhr glitt von der Wand und setzte sich wieder an ihren Platz. Die Blümchen an den Tassen tanzten in Sträußchen. Auf Jelenas Gesicht brannten rote Flecke, eine Haarsträhne baumelte über der rechten Augenbraue.
    »So, leg ihn hin.«
    »Schlag ihm wenigstens den Bademantel übereinander. Ich bin doch hier. Ihr Teufel versteht nicht zu trinken. Vitja! Was ist mit dir? Vit …«
    »Hör auf. Das hilft nicht. Nikolka, hör zu. In meinem Arbeitszimmer … im Regal ist ein Glas, darauf steht Liquor ammonii, eine Ecke des Etiketts ist abgerissen, zum Teufel, du wirst es sehen, es riecht nach Salmiakgeist.«
    »Sofort … sofort … ach, ach.«
    »Und du, Doktor, bist auch ganz schön …«
    »Schon gut, schon gut.«
    »Was ist? Kein Puls?«
    »Unsinn, er wird schon zu sich kommen.«
    »Eine Schüssel! Eine Schüssel her!«
    »Bitte, die

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