Die weiße Garde
Studzinskis Stimme.
Im Dunkel des Korridors fragte Studzinski unter leisem Sporengeklirr:
»Ihr Eindruck?«
Die Sporen bewegten sich unschlüssig. Myschlajewski tippte nachlässig, aber flott mit den Fingern an den Mützenrand, trat näher zum Stabskapitän und sagte:
»In meinem Zug haben fünfzehn Mann keine Ahnung von einem Gewehr. Es ist schwierig.«
Studzinski sah mit seelenvollem Blick nach oben, wo durch die Scheiben bescheiden und grau das letzte spärliche Licht hereindrang, und fragte:
»Die Stimmung?«
Wieder sprach Myschlajewski:
»Hm … hm … Die Särge haben viel verdorben. Die Studenten sind etwas niedergeschlagen. So etwas deprimiert sie. Sie haben es durchs Gitter gesehen.«
Studzinski sah ihn mit seinen hartnäckigen schwarzen Augen an.
»Versuchen Sie, die Stimmung zu heben.«
Sporenklirrend gingen die Offiziere auseinander.
»Junker Pawlowski!« dröhnte Myschlajewskis Stimme wie die des Radames in »Aida« durchs Zeughaus.
»Pawlowski-ki-ki!« antwortete das Zeughaus mit steinernem Echo und dem Gebrüll der Junkerstimmen.
»Hi-ier!«
»Sind Sie von der Alexej-Schule?«
»Jawohl, Herr Leutnant.«
»Los, ein Lied, möglichst ein munteres. Es soll wie ein Siegesmarsch über Petljura klingen, daß ihn die Pest hole.«
Eine Stimme – hoch und rein – stimmte unter dem steinernen Gewölbe an:
»Als Artillerist bin ich geboren …«
Aus dem Dickicht der Bajonette antworteten Tenöre:
»Die Brigade war mein Elternhaus …«
Das ganze Studentengewühl zuckte zusammen, nahm schnell nach dem Gehör die Melodie auf, und plötzlich explodierte das ganze Zeughaus in einem spontanen Baßchoral, der wie das Echo eines Kanonendonners widerhallte:
»Kartätschen tauften mich statt Wasser,
und reicher Samt umwallt mich kraus.
Mit Feuer …«
Es klirrte in den Ohren, in den Patronenkisten, auf den trüben Scheiben, in den Köpfen, und ein paar vergessene, verstaubte Trinkgläser auf den schrägen Fensterbrettern zitterten und klapperten.
»Und mit den langen Bremsenseilen
die Kanoniere wiegten mich.«
Studzinski fischte sich aus der Menge von Mänteln, Bajonetten und Maschinengewehren zwei rosige Fähnriche und erteilte ihnen hastig flüsternd den Befehl:
»Vestibül … den Vorhang abreißen … schnell.«
Die Fähnriche rannten davon.
»Sie gehen und singen,
die Junker von der Gardeschule!
Mit Pauken und Trompeten
und schallenden Becken!«
Durchs leere Steingehäuse des Gymnasiums dröhnte und heulte der schreckliche Marsch, und die Ratten saßen in ihren tiefen Löchern starr vor Entsetzen.
»Eins, eins!« brüllte Karausche schrill.
»Fröhlicher!« rief Myschlajewski mit reiner Stimme. »Alexej-Schüler, wen beerdigt ihr?«
»Näherinnen, Köchinnen, Stubenmädchen, Wäscherinnen sehn den marschierenden Junkern nach!«
Nicht eine unschlüssige graue Raupe kroch da, sondern eine feste, von Bajonettstacheln umkleidete Formation marschierte den Korridor entlang, und der Fußboden bebte unter dem Stampfen der Füße. Sie marschierte durch den endlosen Korridor in die erste Etage, auf das riesige, von der Glaskuppel hell beleuchtete Vestibül zu, und plötzlich stutzten die ersten Reihen.
Auf edlem Vollbluthengst, dessen Satteldecke das kaiserliche Monogramm zeigte, mit strahlendem Lächeln, einen seitlich aufgebogenen Dreispitz auf dem Kopf, mit weißem Federbusch und angehender Glatze erschien vor den Artilleristen der Zar Alexander. Er sandte ihnen ein Lächeln nach dem anderen zu, voll arglistigen Charmes, und seine Säbelspitze wies auf die Regimenter von Borodino. Geschoßwölkchen bedeckten die Felder von Borodino, und der ganze Hintergrund des zwei Sashen breiten Bildes war in Wolken von Bajonetten gehüllt.
»Es gab doch siegreiche Gefechte?«
»Jawohl, so heißt’s«, sagte Pawlowski schallend vor.
»Jawohl, so heißt’s, und was für welche!«
dröhnten die Bässe.
»Und nicht umsonst gedenkt ganz Rußland
des Heldentages von Borodino!«
Der strahlende Alexander jagte gen Himmel, und der abgerissene Vorhang, der ihn ein ganzes Jahr lang verdeckt hatte, wallte zu Hufen seines Pferdes.
»Habt ihr den Imperator Alexander den Gesegneten nicht gesehen? Richt’ euch, richt’ euch! Eins. Eins. Links. Links!« brüllte Myschlajewski, und die Raupe kroch höher, mit dem schweren Schritt der Alexander-Infanterie die Treppe stürmend. Die Division ging mit der linken Schulter an dem Besieger Napoleons vorbei und kam in die riesengroße Aula mit den
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