Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die weiße Garde

Die weiße Garde

Titel: Die weiße Garde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michail Bulgakow
Vom Netzwerk:
der ersten Seite:

    Im Raum Irpen gab es Zusammenstöße unserer Spähtrupps mit einzelnen Gruppen von Petljura-Banditen.
    In Richtung Serebrjanka ist alles ruhig.
    In Krasny Traktir ist die Lage unverändert.
    In Richtung Bojarka hat ein Regiment von hetmanschen Serdjuksoldaten in einer kühnen Attacke eine Bande von eineinhalbtausend Mann zerschlagen. Zwei Mann wurden gefangengenommen.

    Hu … hu … hu … Bu … bu … bu … – brummelte die graue winterliche Ferne irgendwo im Südwesten. Turbin riß plötzlich den Mund auf und erblaßte. Mechanisch stopfte er die Zeitung in die Tasche. Vom Boulevard her kroch durch die Wladimirstraße eine schwarze Menge. Mitten auf dem Damm gingen die Menschen in schwarzen Mänteln. Auf den Bürgersteigen liefen Weiber nebenher. Ein Berittener vom Staatlichen Polizeidienst ritt voran wie ein Heerführer. Sein hochgewachsenes Pferd spitzte die Ohren, schielte und bockte. Die Visage des Reiters war verwirrt. Von Zeit zu Zeit schrie er etwas und fuchtelte ordnungshalber mit der Nagaika, aber niemand hörte auf ihn. In den vorderen Reihen der Menge waren die goldbestickten Gewänder und die Bärte von Geistlichen zu sehen, Kirchenfahnen flatterten. Von allen Seiten kamen Jungs gelaufen. »›Nachrichten‹!« schrie ein Zeitungsverkäufer und lief der Menge entgegen.
    Küchenjungen mit flachen weißen Hauben tauchten aus der Unterwelt des Restaurants »Metropol« auf. Die Menge zerfloß auf dem Schnee wie Tinte auf Papier.
    Lange gelbe Kisten schwankten über der Menge. Als die erste auf gleicher Höhe mit Turbin war, sah er auf der Seite in ungefüger Kohleschrift die Worte:
    »Fähnrich Juzewitsch«
    Auf der nächsten Kiste stand:
    »Fähnrich Iwanow«
    Auf der dritten:
    »Fähnrich Orlow«
    In der Menge ertönte plötzlich ein Schrei. Eine grauhaarige Frau mit in den Nacken geschobenem Hut lief, stolpernd und irgendwelche Päckchen fallen lassend, vom Gehsteig in die Menge hinein.
    »Was ist das? Wanja?!« gellte ihre Stimme. Irgendwer lief mit blassem Gesicht weg. Eine Frau begann zu schreien, mit ihr eine andere.
    »O Gott, Jesus Christus!« murmelte es hinter Turbin. Jemand drückte ihm gegen den Rücken, atmete ihm gegen den Hals.
    »O Gott, das ist das Letzte. Jetzt werden schon Menschen abgeschlachtet. Wo soll das hin …«
    »Alles könnte ich eher sehen als so etwas.«
    »Was? Was ist? Was ist los? Wer wird beerdigt?«
    »Wanja!« gellte es in der Menge.
    »Das sind die Offiziere, die in Popeljucha niedergemetzelt wurden«, haspelte eine Stimme vor Gier, als erster zu erzählen. »Sie sind nach Popeljucha ausgezogen, haben dort mit der ganzen Abteilung übernachtet, und in der Nacht haben die Bauern und die Petljuraleute sie umzingelt und restlos niedergemetzelt. Ohne Ausnahme. Die Augen haben sie ihnen ausgestochen und ihnen Schulterklappen in die Haut geschnitten. Total verstümmelt.«
    »So etwas. Ach, ach, ach …«
    »Fähnrich Korowin«
»Fähnrich Gerdt«
    Die gelben Särge schwebten vorüber.
    »Daß wir so etwas erleben müssen. Denken Sie bloß!«
    »Bürgerkrieg.«
    »Wie ist denn das möglich?«
    »Sie sind eingeschlafen, heißt es.«
    »Geschieht ihnen recht«, pfiff plötzlich in der Menge hinter Turbin ein unheilvolles Stimmchen, und ihm wurde grün vor Augen. Gesichter und Mützen flimmerten vor ihm. Er steckte den Arm zwischen zwei Hälse und packte wie mit einer Zange die Stimme am schwarzen Ärmel. Der Gefangene drehte sich um und erschrak entsetzlich.
    »Was haben Sie gesagt?« fragte Turbin zischend, doch seine Wut verging sogleich.
    »Aber ich bitte Sie, Herr Offizier«, antwortete die Stimme angstzitternd. »Ich habe gar nichts gesagt. Ich schweige. Was wollen Sie?« Die Stimme flatterte.
    Die Entennase des Festgehaltenen wurde blaß, und Turbin begriff sogleich, daß er sich versehen und den Falschen gepackt hatte. Unter der Entennase saß eine durchaus regierungstreue Physiognomie. Sie konnte nichts Derartiges gesagt haben und verdrehte nur vor Angst die runden Äuglein.
    Turbin ließ den Ärmel los und suchte in kalter Wut unter den Mützen, Hälsen und Kragen, die um ihn wogten. Mit der linken Hand war er bereit, jemanden zu packen, mit der rechten hielt er in der Tasche den Griff des Brownings. Der traurige Gesang der Geistlichen schwamm an ihm vorbei, neben ihm weinte bitterlich eine Frau mit einem Kopftuch. Es war entschieden niemand da, den er packen konnte, die Stimme war wie in den Boden verschwunden. Der letzte Sarg schaukelte

Weitere Kostenlose Bücher