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Die weiße Garde

Die weiße Garde

Titel: Die weiße Garde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michail Bulgakow
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etwas fragen?«
    »Ich weiß, was Sie fragen wollen. Sie brauchen die Frage nicht zu stellen. Ich antworte Ihnen auch so: Sehr schlecht. Es gibt schlimmere Situationen, aber selten. Alles klar?«
    »Jawohl!«
    »Dann ist Ihnen auch klar«, Malyschew senkte die Stimme, »daß ich keine Lust habe, in diesem Steinsack eine unsichere Nacht zu verbringen und vielleicht noch zweihundert Jungs zugrunde zu richten, von denen hundertzwanzig nicht einmal schießen können.«
    Studzinski schwieg.
    »So ist das. Alles Weitere abends. Wir werden alles schaffen. Ab zur Division.«
    Sie betraten den Saal.
    »Stillgestanden! Die Herren Offiziere!« rief Studzinski.
    »Guten Tag, Artilleristen!«
    Hinter Malyschews Rücken gab Studzinski wie ein geschäftiger Regisseur ein Zeichen mit der Hand, und die graue, stachelige Wand brüllte auf, daß die Fensterscheiben klirrten:
    »Guten Tag, Herr Oberst!«
    Malyschew musterte die Reihen freudig, nahm die Hand vom Mützenschirm und sagte:
    »Tadellos … Artilleristen! Ich möchte keine Worte verlieren, bin kein Redner, ich habe noch nie auf Kundgebungen gesprochen, deshalb mach ich’s kurz. Wir werden den Hundesohn Petljura schlagen, seid unbesorgt. Unter euch sind Schüler der Wladimir-, der Kostantin- und der Alexej-Schule, deren Falken sich noch nie mit Schande bedeckt haben. Und viele von euch sind Zöglinge dieses berühmten Gymnasiums. Seine alten Wände schauen auf euch. Ich hoffe, daß wir uns für euch nicht zu schämen brauchen werden. Artilleristen der Mörserdivision! Wir werden die große STADT in der Stunde der Belagerung durch den Banditen halten. Wenn wir diesen ulkigen Präsidenten mit unseren Sechszöllern eindecken, wird ihm der Himmel nicht größer als seine Unterhose vorkommen, Himmel, Arsch und Donnerwetter!«
    »Haha … Haha …«, antwortete die stachelige Menge, ganz überwältigt von den Kraftausdrücken des Herrn Oberst.
    »Gebt euch Mühe, Artilleristen!«
    Wieder gab Studzinski wie ein Regisseur hinter der Kulisse ein Zeichen, und wieder wirbelte die Menge mit ihrem Gebrüll, dem donnerähnliches Echo folgte, ganze Schichten Staub auf.
    »Hur-ra! Hur-ra! Hur-ra!«

    Nach zehn Minuten standen in der Aula, wie auf dem Feld von Borodino, Hunderte Gewehrpyramiden. Auf beiden Enden der mit Bajonetten bepflanzten staubigen Parkettebene tauchten zwei dunkle Wachpostengestalten auf. Irgendwo unten hörte man entfernt die Schritte der befehlsgemäß auseinandergehenden frisch gebackenen Artilleristen. In den Korridoren hallten eisenbeschlagene Schritte und die Rufe der Offiziere – Studzinski stellte selbst die Wachposten auf. Dann ertönte unerwartet eine Trompete. In ihren zerrissenen, abgestandenen Tönen, die durchs ganze Gymnasium flogen, war die Strenge gebrochen, sie klang unruhig und falsch. Oben im Korridor, zwischen den ins Vestibül führenden Treppen, stand ein Junker und blies die Wangen auf. Abgeschabte Ordensbänder hingen von der stumpfen Messingtrompete. Die Beine zirkelartig gespreizt, stand Myschlajewski vor dem Bläser und versuchte, ihm etwas beizubringen.
    »Es dringt nicht durch. Jetzt ist’s besser. Blasen Sie sie durch, kräftig, sie hat zu lange ungebraucht gelegen, die gute. Nun, blasen Sie Alarm.«
    »Tra-ta-ta-tra-ta«, blies der Trompeter und versetzte die Ratten in Schreck und Trauer.
    Die Dunkelheit drang schnell in den Saal mit den beidseitigen Fensterreihen. Vor dem Feld mit den Gewehrpyramiden blieben Malyschew und Turbin stehen. Malyschew sah den Arzt finster an, setzte dann aber rasch ein freundliches Lächeln auf.
    »Na, Doktor, wie sieht’s bei Ihnen aus? Ist der Sanitätstrupp in Ordnung?«
    »Jawohl, Herr Oberst.«
    »Sie können nach Hause gehen, Doktor. Die Feldschere auch. Die sollen morgen mit den anderen um sieben hier erscheinen. Und Sie …« (Malyschew kniff nachdenkend die Augen ein.) »Ich möchte Sie bitten, morgen um vierzehn Uhr hierherzukommen. Bis dahin sind Sie frei.« (Malyschew überlegte weiter.) »Noch etwas: Die Achselklappen brauchen Sie einstweilen nicht zu tragen.« (Malyschew schwieg eine Weile unschlüssig.) »Wir sind nicht daran interessiert, Aufmerksamkeit zu erregen. Kurzum, bitte morgen um vierzehn Uhr.«
    »Zu Befehl, Herr Oberst.«
    Turbin trat von einem Fuß auf den anderen. Malyschew holte sein Etui heraus und bot ihm eine Zigarette an. Turbin entzündete ein Streichholz. Zwei rote Sternchen glühten auf, und daran merkte man, daß es schon ziemlich dunkel geworden war. Malyschew sah

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