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Die weiße Garde

Die weiße Garde

Titel: Die weiße Garde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michail Bulgakow
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doch den Widerstand einstellen?« Trauer in der Stimme des Junkers:
    »Weiß der Teufel!«

    Frühmorgens war Oberst Stschotkin nicht im Stab, aus dem einfachen Grunde, weil der Stab nicht mehr existierte. Schon in der Nacht zum Vierzehnten war Stschotkins Stab zurück zum Stadtbahnhof I gefahren und hatte die Nacht am Telefon im Hotel Rose von Stambul, nahe dem Telegrafenamt, verbracht. In Stschotkins Zimmer pfiff ab und zu der Telefonvogel, aber gegen Morgen verstummte er. Am Morgen waren die beiden Adjutanten des Obersts spurlos verschwunden. Eine Stunde später, nachdem Stschotkin in den Schubladen gekramt und Papiere zerrissen hatte, verließ auch er die vollgespuckte »Rose«, aber nicht mehr im Militärmantel mit Schulterklappen, sondern im flauschigen Zivilmantel und mit einem brötchenförmigen Hut auf dem Kopf. Wo er das alles herhatte, weiß niemand.
    Nachdem der Zivilist Stschotkin einen Häuserblock hinter sich gelassen hatte, nahm er eine Droschke und fuhr nach Lipki. An der Tür einer engen, gutmöblierten Wohnung klingelte er, küßte eine üppige goldblonde Frau und ging mit ihr in das abgelegene Schlafzimmer. Direkt in die entsetzt gerundeten Augen der Blondine flüsterte er die Worte:
    »Alles aus! Oh, bin ich erschöpft …« Er zog sich in den Alkoven zurück und schlief nach einer von der Blondine zubereiteten Tasse schwarzen Kaffees ein.

    Nichts von alldem wußten die Junker des ersten Bataillons. Schade! Hätten sie es gewußt, so wären sie vielleicht auf den Gedanken gekommen, statt sich unter dem Schrapnellhimmel bei Post-Wolynski herumzutreiben, nach Lipki in die gemütliche Wohnung zu gehen, den schlaftrunkenen Oberst Stschotkin herauszuholen und ihn an dem Laternenmast gegenüber der Wohnung mit dem goldblonden Persönchen aufzuhängen.

    Das wäre eine gute Tat gewesen, aber sie vollbrachten sie nicht, weil sie nichts wußten und nichts begriffen.
    In der STADT hatte niemand etwas begriffen, und auch in Zukunft würde man nicht so schnell etwas begreifen. Bedenken Sie nur: In der STADT waren die eisernen, wenn auch etwas angeschlagenen Deutschen, in der STADT war der schlanke, schnurrbärtige Schlaufuchs Hetman (von der Halswunde des geheimnisvollen Majors von Schratt wußten am Morgen nur sehr wenige), in der STADT war Seine Durchlaucht Fürst Belorukow, in der STADT war General Kartusow, der die Bataillone zur Verteidigung der Mutter der russischen Städte aufgestellt hatte, in der STADT klingelten und pfiffen immerhin die Telefone der Stäbe (niemand wußte, daß sie seit dem Morgen auseinanderliefen), die STADT war voller Schulterklappen. In der STADT geriet man in Wut bei dem Wort Petljura, und noch in der heutigen Nummer der Zeitung »Westi« verlachten ihn sittenlose Petersburger Journalisten. In der STADT liefen Kadetten herum, aber bei den Datschen in Karawajewo pfiff schon wie eine Nachtigall die buntgekleidete, bemützte Reiterei, und von der linken zur rechten Flanke zogen in schlankem Trab verwegene Haidamaken. Wenn sie schon in fünf Werst Entfernung pfiffen, so muß man fragen, worauf hoffte der Hetman? Sie pfiffen doch zu seinem Verderben! Oh, sie pfiffen … Vielleicht würden die Deutschen ihm beistehen? Aber warum lachten dann diese tumben Deutschen so gleichgültig in ihre gestutzten deutschen Schnurrbärte auf dem Bahnhof Fastow, wenn ein Militärzug mit Petljura-Truppen nach dem anderen an ihnen vorbei in Richtung STADT fuhr? Vielleicht gab es mit Petljura eine Übereinkunft, ihn ungehindert in die STADT zu lassen? Aber warum, zum Teufel, schossen dann die weißen Offizierskanonen auf Petljura?
    Nein, niemand würde begreifen können, was am vierzehnten Dezember in der STADT vor sich ging.
    In den Stäben klingelten die Telefone, wenn auch immer seltener.
    Seltener!
    Seltener!
    Drrrr!
    »Tiu …«
    »Was ist bei euch los?«
    »Tiu …«
    »Schickt Patronen für den Oberst!«
    »Für Stepanow.«
    »Für Iwanow.«
    »Für Antonow!«
    »Für Stratonow!«
    »An den Don … An den Don, Jungs, hier bringen wir nichts zustande.«
    »Tiu …«
    »Zum Teufel mit dem Stabsgesindel!«
    »An den Don!«
    Immer seltener und gegen Mittag nur noch ganz selten.
    Rund um die STADT, bald da, bald dort, krachte es und hörte wieder auf. Aber in den Vormittagsstunden, ungeachtet des Krachens, lebte die STADT noch ein ziemlich normales Leben. Die Läden waren offen, und es wurde verkauft. Die Gehsteige waren voller Passanten, Türen klappten, die Straßenbahn fuhr surrend.
    Mittags

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