Die weiße Garde
Musik beerdigen würde. Sehr einfach: Über der Straße schwebt ein mit Silberbrokat ausgeschlagener weißer Sarg, und im Sarg liegt der im Kampf gefallene Unteroffizier Turbin mit edlem, wächsernem Gesicht. Schade, daß jetzt keine Kreuze verliehen werden, sonst trüge er bestimmt ein Kreuz und das Georgsbändchen auf der Brust. An den Toren stehen Frauen. Wer wird beerdigt, ihr Lieben? – Unteroffizier Turbin. – Ach, so ein schöner junger Mann! Und die Musik dazu. Es ist angenehm, im Kampf zu sterben, wissen Sie. Hauptsache, er muß sich nicht quälen. Die Gedanken an die Musik und das Bändchen haben das unsichere Warten auf den Feind, der der Stimme am Telefon nicht gehorchte und sich nicht zeigte, etwas verschönert.
»Wir warten hier«, sagte Nikolka zu den Junkern, bemüht, seiner Stimme einen sicheren Klang zu geben, aber sie klang nicht besonders sicher, denn alles ringsum sah nicht so aus, wie es sollte, es sah dumm aus. Wo ist die Abteilung? Wo ist der Feind? Merkwürdig, daß es hinter ihm zu schießen schien.
Schließlich trat das ein, worauf der Anführer mit seiner Schar wartete. In der Quergasse, die von der Kreuzung zur Brest-Litowsker Chaussee führte, krachten unerwartet Schüsse, in schnellem Lauf kamen graue Gestalten durch die Gasse auf Nikolkas Junker zu, und ihre Gewehre ragten unordentlich nach allen Seiten.
Sind wir umgangen? durchzuckte es Nikolka, und er wußte nicht, welches Kommando er geben sollte. Doch bald bemerkte er goldene Flecke auf den Schultern einiger Fliehender und begriff, daß es eigene Leute waren.
Die stämmigen, hochgewachsenen, vom Laufen abgehetzten Konstantin-Junker mit der Papacha auf dem Kopf blieben plötzlich stehen, knieten nieder und gaben mit schwach aufblitzenden Gewehren zwei Salven in die Gasse ab, dorthin, wo sie hergekommen waren. Dann sprangen sie wieder auf, warfen die Gewehre weg und liefen über die Kreuzung an Nikolkas Trupp vorbei. Dabei rissen sie Schulterklappen, Patronentaschen und Koppel ab und warfen sie in den zerfahrenen Schnee. Ein großer, grauer, schwerfälliger Junker schrie im Vorbeilaufen keuchend, schallend Nikolkas Trupp zu:
»Flieht, flieht mit uns! Rette sich, wer kann!«
Nikolkas Junkerkette richtete sich verwirrt auf. Nikolka hatte den Kopf verloren, faßte sich aber blitzschnell, und ein Gedanke huschte durch seinen Kopf: Das ist der Moment, wo man ein Held werden kann. Dann schrie er mit seiner schrillen Stimme:
»Nicht aufstehen! Hört auf mein Kommando!«
Was machen sie denn? dachte er wütend.
Die Konstantin-Junker – etwa zwanzig – sprangen unbewaffnet über die Kreuzung davon, zerstreuten sich in der querlaufenden Fonarny-Gasse, und ein Teil von ihnen stürzte zum ersten riesigen Tor. Die eiserne Tür polterte heftig, durch den hallenden Torweg trampelten die Stiefel. Ein anderes Grüppchen verschwand im zweiten Tor. Nur fünf blieben übrig, liefen, den Schritt beschleunigend, die Gasse entlang und verschwanden in der Ferne.
Schließlich kam ein letzter Fliehender mit blaßgoldenen Schulterklappen auf die Kreuzung gerannt. Nikolka erkannte mit scharfem Blick sofort den Kommandeur der zweiten Abteilung des ersten Bataillons, Oberst Nai-Turs.
»Herr Oberst!« rief ihm Nikolka verwirrt und zugleich freudig zu. »Ihre Junker fliehen panikartig.«
Da ereignete sich etwas Ungeheuerliches. Nai-Turs kam auf die zerstampfte Kreuzung gelaufen, die Mantelschöße wie bei den französischen Infanteristen auf beiden Seiten hochgesteckt. Die zerknitterte Mütze saß ihm im Nacken und wurde nur noch vom Kinnriemen gehalten. In der Rechten trug er einen Colt, die geöffnete Revolvertasche schlug ihm gegen die Hüfte. Sein unrasiertes, borstiges Gesicht sah furchterregend aus, die Augen schielten zur Nase, und aus der Nähe waren deutlich die Husarenlitzen auf den Schultern zu sehen. Nai-Turs trat auf Nikolka zu und riß ihm mit der linken Hand zuerst die linke und dann die rechte Schulterklappe ab. Die Wachsfäden bester Qualität rissen krachend, wobei die rechte Schulterklappe einen Fetzen Mantelstoff mitnahm. Es schleuderte Nikolka so heftig zur Seite, daß er einen Begriff davon bekam, was Nai-Turs für kräftige Hände hatte. Er plumpste auf etwas nicht sehr Hartes, und dies nicht sehr Harte sprang mit Geschrei unter ihm hervor und erwies sich als der Maschinengewehrschütze Iwaschin. Dann umwimmelten ihn die verzerrten Gesichter der Junker, alles ging zum Teufel. Nikolka behielt in diesem Moment nur deshalb seine
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