Die weiße Garde
Tür, fand den Riegel, schob ihn vor und kehrte zum Ofen zurück. Ungeachtet der Warnung tat er alles ohne Eile, seine Beine waren schlaff, seine Gedanken träge und verworren. Das schwache Feuer verschlang das Papier, die lustig flammende Ofentür wurde still und rötlich, der Laden dunkel. In grauen Schatten klebten die Regale an den Wänden. Turbin streifte sie mit dem Blick und dachte ebenfalls träge, daß es bei Madame Anjou noch immer nach Parfüm roch. Ganz zart und schwach, aber spürbar.
Die Gedanken in seinem Kopf hatten sich zu einem formlosen Knäuel geballt, und einige Zeit starrte er verständnislos dorthin, wo der rasierte Oberst verschwunden war. Dann, in der Stille, wickelte sich das Knäuel allmählich auseinander. Die wichtigste und grellste Realität tauchte auf – Petljura war da. »Peturra, Peturra«, sagte Turbin mit schwacher Stimme und lächelte, ohne zu wissen weshalb. Er ging zum Spiegel an der Wand zwischen den Fenstern, den ein Staubschleier bedeckte wie Taft. Das Papier war verbrannt, das letzte rote Zünglein flackerte und erlosch auf dem Fußboden. Es war fast dunkel.
»Petljura – das ist so irr … eigentlich ist das ein verlorenes Land«, murmelte Turbin im Dunkel des Ladens, dann faßte er sich: »Was soll die Träumerei? Die können jeden Moment hier sein.«
Plötzlich wurde er genauso hastig wie Malyschew vor seiner Flucht und riß die Schulterklappen ab. Die Fäden krachten, in den Händen blieben zwei silberne Streifen von der Jacke und zwei grüne vom Mantel. Turbin betrachtete sie, drehte sie in den Händen, wollte sie zum Andenken einstecken, überlegte aber, begriff die Gefahr und beschloß, sie zu verbrennen. An Heizmaterial mangelte es nicht, obwohl Malyschew alle Dokumente verbrannt hatte. Turbin raffte einen ganzen Haufen bunter seidener Flicken vom Boden, steckte sie in den Ofen und zündete sie an. Wieder huschten häßliche Schatten über Wände und Fußboden, und der Laden von Madame Anjou lebte für kurze Zeit auf. In den Flammen wurden die Silberstreifen wellig, blasig, stumpf und krümmten sich schrumpfend.
In Turbins Kopf tauchte eine wichtige Frage auf – was machte er mit der Tür? Verriegelt lassen oder nicht? Wenn ein Freiwilliger, so wie er, sich verspätet hatte und herkam, konnte er sich nirgends verstecken! Turbin schob den Riegel zurück. Dann durchzuckte ihn der Gedanke: Personalausweis? Er griff in die eine, dann in die andere Tasche – nicht da. Natürlich. Er hat ihn vergessen, ach, es ist ein Skandal. Was geschieht, wenn er ihnen begegnet? Der Militärmantel ist grau. Wer sind Sie? wird man fragen. Arzt … Doch den Beweis … Ach, verfluchte Zerstreutheit!
Schnell, flüsterte die innere Stimme.
Turbin überlegte nicht mehr, er stürzte nach hinten, wo auch Malyschew geflohen war, lief durch eine kleine Tür in den dunklen Korridor und von dort durch den Hinterausgang auf den Hof.
11
Der Stimme im Telefon gehorchend, führte Unteroffizier Nikolai Turbin die achtundzwanzig Junker durch die ganze STADT zum Einsatzort. Sie gelangten auf eine vollkommen tote Kreuzung. Keinerlei Leben, aber viel Getöse. Ringsum – am Himmel, auf den Dächern, an den Wänden – ratterten Maschinengewehre.
Der Feind mußte hier irgendwo sein, denn die Kreuzung war der telefonisch genannte Einsatzort. Aber vorläufig zeigte sich kein Feind, und Nikolka war etwas verwirrt – was sollte er weiter tun? Seine Junker, ein bißchen blaß, aber tapfer wie ihr Kommandeur, legten sich in einer Kette auf die schneebedeckte Straße, der Schütze Iwaschin hockte sich an sein Maschinengewehr am Straßenrand. Die Junker hoben den Kopf und sahen erwartungsvoll in die Ferne.
Ihr Anführer aber war von so wichtigen und bedeutenden Gedanken erfüllt, daß er blaß und abgemagert aussah. Er war bestürzt, erstens, weil an der Kreuzung nichts von dem war, was die Stimme am Telefon versprochen hatte. Er sollte hier eine Abteilung des dritten Bataillons vorfinden und sie »verstärken«. Es gab aber nicht einmal Spuren von der Abteilung.
Zweitens bestürzte ihn der Umstand, daß das Maschinengewehrgeratter nicht nur vorn zu hören war, sondern auch links und sogar hinten. Drittens fürchtete er, Angst zu bekommen, und prüfte sich dauernd: Habe ich Angst? Nein, ich habe keine Angst, antwortete eine muntere Stimme in seinem Kopf, und vor Stolz, daß er erwiesenermaßen tapfer war, wurde er noch blasser. Der Stolz weckte in ihm den Gedanken, daß man ihn, wenn er fiele, mit
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