Die weiße Garde
halb abgerissenen Anschlags am schwarzfenstrigen Seiteneingang des Theaters. Carmen. Carmen.
Da ist schon der Anjou-Laden. In den Fenstern keine Kanonen, keine goldenen Schulterklappen. In den Fenstern zitterte und flackerte ein unsteter Feuerschein. Ein Brand etwa? Die Tür klackte unter Turbins Händen, ging aber nicht auf. Er klopfte erregt. Klopfte noch einmal. Eine graue Gestalt tauchte hinter den Scheiben der Tür auf, öffnete sie, und Turbin betrat den Laden. Verblüfft sah er den Unbekannten an. Der trug einen schwarzen Studentenmantel und auf dem Kopf eine mottenzerfressene Zivilmütze mit Klappen, die oben zusammengebunden waren. Das Gesicht kam Turbin merkwürdig bekannt vor, aber irgendwie entstellt und verunstaltet. Der Ofen verschlang bullernd Papiere. Mit Papier war der ganze Fußboden bestreut. Die Gestalt ließ Turbin ein, stürzte ohne jede Erklärung wieder zum Ofen und hockte sich hin, roter Widerschein spielte auf dem Gesicht.
Malyschew? Ja, Oberst Malyschew. Turbin erkannte ihn.
Der Oberst hatte keinen Schnurrbart mehr. Ein glatter, bläulicher Fleck war an seine Stelle getreten.
Malyschew raffte, weit ausholend, Papiere vom Fußboden und steckte sie in den Ofen.
Aha!
»Was ist das? Alles aus?« fragte Turbin dumpf.
»Aus«, antwortete der Oberst lakonisch, sprang hoch, lief zum Tisch, suchte ihn mit den Augen ab, zog einige Male knallend die Schubladen auf und zu, bückte sich rasch, hob den letzten Packen Papiere auf und steckte ihn in den Ofen. Erst dann drehte er sich zu Turbin um und fügte ruhig und ironisch hinzu: »Wir haben Krieg geführt, und nun ist Schluß!« Er holte seine Brieftasche hervor, prüfte die Papiere, zerriß zwei Blätter über Kreuz und warf sie in den Ofen. Turbin beobachtete ihn. Malyschew hatte keine Ähnlichkeit mehr mit einem Oberst, er sah aus wie ein stämmiger Student oder ein Laienkünstler mit üppigen roten Lippen.
»Doktor, was ist mit Ihnen?« Malyschew zeigte besorgt auf Turbins Schultern. »Nehmen Sie sie rasch ab. Was machen Sie denn? Wo kommen Sie her? Wissen Sie denn nichts?«
»Ich habe mich verspätet, Herr Oberst«, sagte Turbin. Malyschew lachte vergnügt. Plötzlich verschwand die Heiterkeit von seinem Gesicht, er schüttelte besorgt und schuldbewußt den Kopf und sagte:
»Ach du lieber Gott, das ist ja meine Schuld! Ich hatte Sie zu dieser Stunde bestellt. Sie sind bestimmt heute noch nicht aus dem Hause gegangen? Nun gut. Jetzt ist keine Zeit, darüber zu reden. Kurzum: Nehmen Sie schnell die Schulterklappen ab und fliehen Sie, verstecken Sie sich.«
»Was ist geschehen? Sagen Sie mir, um Gottes willen, was ist geschehen?«
»Was geschehen ist?« fragte Malyschew ironisch und fröhlich. »Petljura ist in der Stadt, in Petschersk, wenn nicht schon auf dem Krestschatik. Die Stadt ist eingenommen.« Malyschew zeigte schielend die Zähne und sprach plötzlich nicht mehr wie ein Laienkünstler, sondern wie der frühere Malyschew. »Die Stäbe haben uns verraten. Wir hätten schon am Morgen auseinanderlaufen müssen. Zum Glück, dank guten Menschen, habe ich noch in der Nacht alles erfahren und die Division auseinandertreiben können. Doktor, es ist keine Zeit zum Nachdenken, nehmen Sie die Schulterklappen ab!«
»Aber dort, im Museum, im Museum …«
Malyschew wurde finster im Gesicht.
»Das geht mich nichts an«, antwortete er erbost. »Gar nichts! Nichts geht mich mehr an. Ich war vorhin dort, habe geschrien, gewarnt, gebeten auseinanderzugehen. Mehr kann ich nicht tun. Meine eigenen Leute habe ich vor dem Abschlachten bewahrt und vor der Schande!« Malyschew schrie hysterisch, wahrscheinlich hatte sich etwas in ihm angesammelt und kam jetzt zum Ausbruch, er konnte sich nicht mehr beherrschen. »Die Generäle!« Er ballte die Fäuste und drohte jemandem. Sein Gesicht lief rot an.
Da jaulte draußen, weiter oben, ein Maschinengewehr los und schien das große Nachbarhaus zu erschüttern.
Malyschew zuckte zusammen.
»Los doch, Doktor! Leben Sie wohl. Fliehen Sie! Nur nicht auf die Straße, sondern hier, durch den Hintereingang, und dann über die Höfe. Dort ist noch alles frei. Schnell!«
Malyschew drückte dem erschütterten Turbin die Hand, drehte sich rasch um und lief durch den dunklen Gang hinter der Trennwand fort. Sogleich wurde es still im Laden. Das Maschinengewehr auf der Straße war auch verstummt.
Turbin blieb allein. Im Ofen brannte das Papier. Ungeachtet der Warnung Malyschews ging Turbin schlaff und langsam zur
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