Die weiße Garde
um zwölf verlassen, als die feindlichen Ketten von Petschersk anrückten.«
»Bist ein Held«, antwortete Myschlajewski. »Aber ich hoffe, daß Seine Durchlaucht, der Oberbefehlshaber, schon früher weggegangen ist. Genau wie Seine Durchlaucht, der Herr Hetman, das verdammte Mistvieh! Ich tröste mich mit der Hoffnung, daß er sich an einem sicheren Ort befindet. Die Heimat braucht ihr Leben. Apropos, kannst du mir nicht sagen, wo sie stecken?«
»Weshalb willst du das wissen?«
»Deshalb.« Myschlajewski ballte die rechte Hand zur Faust und schlug mit ihr in die linke Handfläche. »Wenn ich diese Durchlauchten erwischen könnte, würde ich den einen am linken und den anderen am rechten Bein packen, auf den Kopf stellen und so lange mit dem Kopf gegen die Pflastersteine hauen, bis ich es überhätte. Und euer Stabsgesindel müßte man im Klosett ertränken.«
Scherwinski wurde dunkelrot im Gesicht.
»Sei bitte dennoch etwas vorsichtiger«, sagte er, »wähle deine Ausdrücke. Du mußt wissen, daß der Fürst auch die Stabsoffiziere im Stich gelassen hat. Zwei seiner Adjutanten sind mit ihm gefahren, die übrigen hat er ihrem Schicksal überlassen.«
»Weißt du, daß jetzt im Museum tausend hungrige Menschen mit Maschinengewehren sitzen? Die Petljura-Leute werden sie zerquetschen wie Wanzen. Weißt du, wie Oberst Nai-Turs gefallen ist? Er war der einzige …«
»Laß mich bitte in Ruhe!« rief Scherwinski ernstlich böse. »Was ist das für ein Ton? Ich bin genauso ein Offizier wie du!«
»Lassen Sie das, meine Herren!« Karausche keilte sich zwischen Myschlajewski und Scherwinski. »Das ist ein völlig unnützes Gespräch. Was willst du eigentlich von ihm? Lassen wir das, es bringt nichts ein.«
»Leise, leise«, flüsterte Nikolka traurig. »Sonst hört er’s.«
Myschlajewski wurde verlegen und unschlüssig. »Komm, reg dich nicht auf, Bariton. Ich hab das nur so gesagt. Du weißt doch selbst …«
»Merkwürdig …«
»Einen Augenblick, meine Herren, seien Sie still …« Nikolka horchte auf und zeigte zum Fußboden. Alle lauschten. Von unten, aus Wassilissas Wohnung, kamen Stimmen. Etwas dumpf, aber man hörte Wassilissa fröhlich und etwas hysterisch auflachen. Wie als Antwort rief Wanda laut etwas Lustiges. Dann wurde es still. Nach einer Weile murmelten die Stimmen wieder dumpf.
»Erstaunlich«, sagte Nikolka tiefsinnig. »Wassilissa hat Gäste. Und das in dieser Zeit! Der reinste Weltuntergang.«
»Ja, euer Wassilissa ist schon eine Type«, bekräftigte Myschlajewski.
Es war gegen Mitternacht, Turbin war nach einer Morphiumspritze eingeschlafen, und Jelena hatte es sich neben seinem Bett in einem Sessel bequem gemacht. Im Wohnzimmer wurde Kriegsrat gehalten.
Es wurde beschlossen, daß alle in der Wohnung übernachten würden. Erstens sollte man in der Nacht auch mit guten Papieren lieber nicht herumlaufen. Zweitens war es so besser für Jelena, wenn was war, konnte man helfen. Das Wichtigste aber: In solchen Zeiten war es geraten, nicht zu Hause zu sitzen, sondern zu Gast zu sein. Außerdem, was auch wichtig war, man hatte nichts zu tun. Und man konnte Wint spielen.
»Spielen Sie?« fragte Myschlajewski Lariossik.
Lariossik errötete vor Verlegenheit und sprudelte hervor, daß er Wint spiele, aber schlecht, sehr schlecht, Hauptsache, man beschimpfe ihn nicht, wie ihn in Shitomir die Steuerinspektoren beschimpft hatten, und daß er ein Drama erlebt habe, aber hier bei Jelena Wassiljewna seelisch auflebe, weil sie ein außergewöhnlich guter Mensch und ihre Wohnung warm und gemütlich sei, besonders schön seien die cremefarbenen Stores an allen Fenstern, denn ihnen sei es zu danken, daß man sich von der Außenwelt abgeschlossen fühle. »Und diese Außenwelt, das werden Sie selbst zugeben, ist schmutzig, blutig und sinnlos.«
»Darf ich fragen, ob Sie Gedichte schreiben?« Myschlajewski sah Lariossik aufmerksam an.
»Ja«, sagte Lariossik bescheiden und errötete.
»So … Verzeihen Sie, daß ich Sie unterbrochen habe. Sinnlos, sagten Sie … Fahren Sie bitte fort.«
»Ja, sinnlos, und unsere wunden Seelen suchen Ruhe hinter solchen cremefarbenen Stores.«
»Na, wissen Sie, was die Ruhe betrifft, so weiß ich nicht, wie es bei Ihnen in Shitomir ist, aber hier in der Stadt werden sie sie kaum finden. Befeuchte die Bürste mit Wasser, sonst staubt es zu sehr. Sind Kerzen da? Wunderbar. Wir schreiben Sie also als Strohmann auf. Zu fünft ist es ein totes Spiel.«
»Nikolka spielt ja
Weitere Kostenlose Bücher