Die weiße Garde
fertiggebracht, oder Nadson zum Beispiel.«
»Sei ruhig. Was hackst du auf ihm rum? Das kann jedem passieren.«
»Ich hab’s ja gewußt«, murmelte Lariossik, »ich habe eben kein Glück.«
»Still! Still …«
Vollkommene Stille trat ein. In der fernen Küche, hinter mehreren Türen, flatterte die Klingel. Alle verstummten. Dann hörte man Absätze klappern, die Tür öffnete sich, Anjuta kam herein. In der Diele war flüchtig Jelenas Kopf zu sehen. Myschlajewski trommelte mit den Fingern auf den Filz.
»Ein bißchen früh, nicht?«
»Ja, es ist zu früh«, sagte Nikolka, der in Sachen Haussuchung als der Sachkundigste galt.
»Soll ich öffnen?« fragte Anjuta beunruhigt.
»Nein, Anna Timofejewna«, antwortete Myschlajewski, »warten Sie noch ein bißchen.« Er erhob sich ächzend vom Sessel. »Von jetzt an werde ich öffnen. Sie brauchen sich nicht zu bemühen.«
»Gehen wir zusammen«, sagte Karausche.
»Tja«, sagte Myschlajewski und blickte drein, als stände er vor seinem Zug. »Also … Dort ist alles in Ordnung. Der Arzt hat Flecktyphus und so weiter. Du, Lena, bist die Schwester. Karausche, du kannst dich für einen Mediziner ausgeben, einen Studenten. Hau ab ins Schlafzimmer. Nimm dort irgendeine Spritze in die Hand. Wir sind zu viele. Aber es macht nichts.«
Es klingelte wieder, ungeduldig. Anjuta zuckte zusammen, alle wurden noch ernster.
»Immer langsam«, sagte Myschlajewski und holte aus der hinteren Hosentasche einen kleinen schwarzen Revolver hervor, der wie ein Spielzeug aussah.
»Das ist höchst unklug«, sagte Scherwinski finster. »Ich wundere mich über dich. Du könntest etwas vorsichtiger sein. Damit bist du über die Straße gegangen?«
»Keine Sorge«, antwortete Myschlajewski ernst und höflich, »das bringen wir schon in Ordnung. Nimm ihn, Nikolka, und flitze zum Hinterausgang oder zum Lüftungsfensterchen. Wenn das Petljuras Erzengel sind, huste ich, und du läßt ihn verschwinden, aber so, daß man ihn wiederfindet. Ich hänge daran, er war mit mir bei Warschau. Ist bei dir alles in Ordnung?«
»Sei unbesorgt«, sagte der Fachmann Nikolka streng und stolz und bemächtigte sich des Revolvers.
»Also.« Myschlajewski wies mit dem Finger auf Scherwinski. »Du bist ein Sänger, bist zu Besuch gekommen.« Zu Karausche: »Mediziner.« Zu Nikolka: »Bruder.« Zu Lariossik: »Ein Untermieter, Student. Haben Sie einen Ausweis?«
»Mein Personalausweis stammt aus der Zarenzeit«, sagte Lariossik erblassend. »Dann habe ich noch einen Studentenausweis aus Charkow.«
»Den zaristischen verstecken, den Studentenausweis zeigen.« Lariossik verhedderte sich in der Portiere und verschwand.
»Die übrigen zählen nicht, es sind Frauen«, fuhr Myschlajewski fort. »Na, habt ihr alle Ausweise? In den Taschen nichts Überflüssiges? He, Illarion! Frag ihn doch, ob er keine Waffen hat.«
»He, Illarion!« rief Nikolka aus dem Eßzimmer. »Hast du Waffen?«
»Nein, nein, gottbewahre«, antwortete von irgendwo Lariossik. Es klingelte wieder: lange, verzweifelt, ungeduldig.
»Nun, mit Gott«, sagte Myschlajewski und setzte sich in Bewegung. Karausche verschwand in Turbins Schlafzimmer.
»Wir haben Patience gelegt«, sagte Scherwinski und pustete die Kerzen aus.
Drei Türen führten aus der Turbinschen Wohnung hinaus. Die erste von der Diele in den Treppenflur, die zweite, eine Glastür, grenzte unten die eigentliche Turbinsche Besitzung ab. Hinter der Glastür war der dunkle, kalte Vordereingang, neben dem Wassilissas Tür lag; den Flur schloß eine letzte Tür zur Straße ab.
Die Türen schlugen auf und zu, und Myschlajewski rief unten: »Wer ist da?«
Oben, hinter sich auf der Treppe, bemerkte er dunkle Silhouetten. Eine dumpfe Stimme vor der Tür flehte:
»Man klingelt und klingelt … Talberg-Turbina wohnt hier? Ein Telegramm für Sie. Machen Sie auf.«
Soo … , huschte es durch Myschlajewskis Kopf, und er brach in krankhaftes Husten aus. Auf der Treppe verschwand eine Silhouette. Myschlajewski schob vorsichtig den Riegel zurück, drehte den Schlüssel um und öffnete die Tür, ließ aber die Kette vor. »Geben Sie mir das Telegramm«, sagte er und stellte sich so hinter die Tür, daß sie ihn verdeckte. Eine Hand in Grau schob sich durch und reichte ihm einen kleinen Umschlag. Der verblüffte Myschlajewski sah, es war wirklich ein Telegramm.
»Unterschreiben Sie«, sagte die Stimme vor der Tür erbost.
Myschlajewski riskierte einen Blick und stellte fest, daß draußen
Weitere Kostenlose Bücher