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Die weiße Garde

Die weiße Garde

Titel: Die weiße Garde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michail Bulgakow
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jemand einen glühenden Nagel in die Schädeldecke und zerstörte das Gehirn. Ich habe Fieber, wiederholte Turbin trocken und tonlos und redete sich zu: Ich muß am frühen Morgen aufstehen und nach Hause gehen. Der Nagel zerstörte das Gehirn und zerstörte letzten Endes auch den Gedanken an Jelena, an Nikolka, an zu Hause und an Petljura. Alles wurde gleichgültig. Peturra … Peturra … Nur eines blieb übrig: Der Schmerz sollte aufhören.
    Tief in der Nacht kam in weichen, pelzbesetzten Hausschuhen Julia herein, saß bei ihm, und wieder ging er, den Arm um ihren Hals gelegt, immer schwächer werdend, durch die kleinen Zimmer. Vorher hatte sie ihre Kräfte gesammelt und zu ihm gesagt: »Wenn Sie können, stehen Sie auf. Achten Sie nicht auf mich. Ich helfe Ihnen. Dann legen Sie sich wieder hin. Wenn Sie aber nicht können …«
    »Doch, ich stehe auf, helfen Sie mir nur«, antwortete er.
    Sie führte ihn an die kleine Tür dieses geheimnisvollen Hauses und brachte ihn auch wieder zurück. Er legte sich, vor Kälte mit den Zähnen klappernd, hin und merkte, daß der Kopfschmerz nachließ.
    »Ich schwöre, daß ich Ihnen das nie vergessen werde«, sagte er. »Gehen Sie schlafen.«
    »Bleiben Sie ruhig liegen, ich streichle Ihnen den Kopf«, antwortete sie.
    Dann wich der böse dumpfe Schmerz aus dem Kopf, floß aus den Schläfen in ihre weichen Hände und dann durch ihren Körper und den verstaubten dicken Teppich in den Fußboden und verschwand dort. An Stelle des Schmerzes breitete sich eine gleichmäßige widerliche Glut im ganzen Körper aus. Der Arm war abgestorben und schwer wie aus Gußeisen, deshalb bewegte er ihn auch nicht, sondern lieferte sich mit geschlossenen Augen ganz dem Fieber aus. Wie lange er so lag, hätte er nicht sagen können: fünf Minuten oder mehrere Stunden. Auf jeden Fall schien ihm, daß er in dieser Glut eine Ewigkeit liegen könnte. Als er die Augen öffnete, langsam, um die neben ihm Sitzende nicht zu erschrecken, sah er das gleiche Bild: Die Lampe unter dem roten Schirm brannte schwach und gleichmäßig und verbreitete friedliches Licht, und nahe bei ihm war das schlaflose Profil der Frau. Die Lippen kindlich-traurig vorgeschoben, sah sie zum Fenster. In Hitzewellen schwimmend, bewegte sich Turbin ihr entgegen.
    »Beugen Sie sich zu mir«, sagte er. Seine Stimme war trocken, schwach und hoch. Sie wandte sich ihm zu, ihre Augen merkten ängstlich auf und wurden tiefer in den Schatten. Turbin legte ihr den rechten Arm um den Hals, zog sie zu sich und küßte sie auf den Mund. Ihm schien, daß er etwas Süßes und Kühles berührt hätte. Die Frau war darüber nicht verwundert. Sie sah ihm nur forschend ins Gesicht.
    Dann sagte sie: »Sie haben schrecklich hohes Fieber. Was machen wir nur? Man müßte einen Arzt holen, aber wie?«
    »Nicht nötig«, antwortete Turbin leise. »Einen Arzt brauche ich nicht. Morgen stehe ich auf und gehe nach Hause.«
    »Ich habe solche Angst, daß es schlimmer wird«, flüsterte sie. »Wie soll ich Ihnen dann helfen? Blutet es nicht mehr?« Sie berührte kaum merklich den verbundenen Arm.
    »Nein, Sie brauchen um mich keine Angst zu haben, mir passiert nichts. Gehen Sie schlafen.«
    »Ich gehe nicht weg«, antwortete sie und streichelte ihm die Hand. »Sie haben Fieber«, wiederholte sie.
    Er konnte nicht an sich halten, umarmte sie wieder und zog sie an sich. Sie widersetzte sich nicht. Er zog sie so lange an sich, bis sie sich neben ihn legte. Da spürte er durch seine krankhafte Glut hindurch die lebendige, klare Wärme ihres Körpers. »Liegen Sie still, ich streichle Ihnen den Kopf«, flüsterte sie.
    Sie streckte sich neben ihm aus, er spürte die Berührung ihrer Knie. Mit der Hand strich sie ihm von der Schläfe aus über das Haar. Das war so wohltuend, daß er nur daran dachte, nicht einzuschlafen.
    Dann schlief er doch ein. Er schlief lange, gleichmäßig und ruhig. Als er wieder aufwachte, merkte er, daß er in einem Kahn auf einem heißen Fluß fuhr, daß die Schmerzen verschwunden waren und vor dem Fenster langsam die Nacht verblaßte. Nicht nur im Häuschen, sondern in der ganzen STADT, in der ganzen Welt herrschte völlige Stille. Gläsernes, dünnes, bläuliches Licht drang durch die Ritzen im Fenstervorhang. Die Frau – warm und traurig – schlief neben ihm. Da schlief auch er wieder ein.

    Am Morgen gegen neun nahm ein zufällig durch die ausgestorbene Malo-Prowalnaja-Straße fahrender Droschkenkutscher zwei Fahrgäste auf – einen

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