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Die weiße Garde

Die weiße Garde

Titel: Die weiße Garde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michail Bulgakow
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und was dann? Hierauf aber kommt keiner. In der Stadt machen’s alle so.«
    Wanda gehorchte, und sie gingen an die Arbeit – hefteten mit Reißzwecken die Geldscheine an die untere Seite der Tischplatte. Bald sah die untere Seite des Tisches ganz bunt aus und glich einem Seidenteppich mit verzwicktem Muster.
    Mit vor Anstrengung rotem Gesicht erhob sich Wassilissa ächzend und betrachtete den Geldteppich.
    »Das ist so umständlich«, sagte Wanda, »wenn man einen Schein braucht, muß man den Tisch umdrehen.«
    »Dreh ihn um, davon werden dir nicht gleich die Hände abfallen«, antwortete Wassilissa heiser. »Lieber den Tisch umdrehen als alles verlieren. Hast du gehört, was in der Stadt los ist? Die sind schlimmer als die Bolschewiken. Sie sollen ja überall Haussuchungen machen und nach Offizieren suchen.«
    Um elf brachte Wanda aus der Küche den Samowar und löschte überall in der Wohnung das Licht. Aus dem Büfett holte sie eine Tüte mit altem Brot und einen runden Kräuterkäse. Die Birne, die in einer Fassung des dreiarmigen Leuchters über dem Tisch hing, verbreitete mit ihren schwach brennenden Fäden ein düsteres, rötliches Licht.
    Wassilissa kaute an einem Stück Weißbrot, der Kräuterkäse wirkte auf ihn wie bohrender Zahnschmerz. Bei jedem Bissen fielen ihm trockene Krümel auf die Jacke und hinter den Schlips. Ohne sich bewußt zu sein, was ihn quälte, betrachtete er finster die kauende Wanda.
    »Ich wundere mich, wie glatt die dort alles überstanden haben«, sagte Wanda und hob die Augen zur Decke. »Ich war überzeugt, der eine oder andere würde erschossen. Aber nein, alle sind zurück, und jetzt ist die Wohnung wieder voller Offiziere.«
    Zu anderer Zeit hätten Wandas Worte auf Wassilissa keinen Eindruck gemacht, aber jetzt, da seine Seele voll brennender Schwermut war, kamen sie ihm unerträglich gemein vor.
    »Ich wundere mich über dich«, entgegnete er und wandte den Blick zur Seite, um sich nicht noch mehr aufzuregen. »Du weißt sehr gut, daß sie eigentlich ganz richtig gehandelt haben. Irgendwer mußte doch die Stadt vor diesen …« (Wassilissa senkte die Stimme) »Halunken verteidigen. Außerdem irrst du dich, wenn du denkst, sie hätten alles glatt überstanden. Ich glaube, er …«
    Wanda sah ihn an und nickte. »Ja, ja, ich bin selbst schon daraufgekommen. Natürlich ist er verwundet.«
    »Na siehst du, brauchst dich also nicht zu freuen. Von wegen glatt …«
    Wanda beleckte die Lippen.
    »Ich freu mich doch nicht, ich sage nur ›glatt‹. Wissen möchte ich aber, was wird, wenn, gottbehüte, irgendwer zu uns kommt und dich als Vorsitzenden des Hauskomitees fragt, wer bei uns oben wohnt, ob die beim Hetman waren. Was würdest du antworten?«
    Wassilissas Gesicht verfinsterte sich, er sah sie von der Seite an. »Man könnte sagen, er sei Arzt. Und letzten Endes, woher soll ich das wissen? Woher?«
    »Das ist es eben, woher …«
    Bei diesem Wort klingelte es in der Diele. Wassilissa erbleichte, Wanda drehte den sehnigen Hals.
    Wassilissa holte laut Luft durch die Nase und erhob sich vom Stuhl.
    »Weißt du was? Ob ich vielleicht zu den Turbins gehe und sie rufe?«
    Wanda kam nicht zum Antworten, denn es klingelte wieder.
    »Ach du lieber Gott«, sagte Wassilissa aufgeregt, »nein, ich muß gehen.«
    Wanda sah ihn erschrocken an und folgte ihm. Sie öffneten die Tür von der Wohnung zum gemeinsamen Flur. Wassilissa trat hinaus. Kälte schlug ihm entgegen, aus der Tür sah Wandas spitzes Gesicht mit unruhig geweiteten Augen. Über ihr schrillte zum drittenmal die glänzende Schale.
    Einen Augenblick dachte Wassilissa daran, an Turbins Glastür zu klopfen; dann würde gleich jemand kommen, und er brauchte sich nicht so zu fürchten. Aber er wagte es nicht. Und wenn sie dann fragen: Warum hast du geklopft? He? Hast du etwa Angst? Außerdem kam ihm die freilich schwache Hoffnung, vielleicht wären das gar nicht sie, sondern nur …
    »Wer … ist da?« fragte er mit schwacher Stimme an der Tür.
    Das Schlüsselloch antwortete ihm sogleich mit heiserer Stimme, und über Wanda schrillte abermals die Klingel.
    »Mach auf«, knarrte das Schlüsselloch, »wir kommen vom Stab. Geh nicht zurück, sonst schießen wir durch die Tür.«
    »O Gott«, hauchte Wanda.
    Mit toten Händen schob Wassilissa den Riegel und den schweren Haken zurück und wußte selbst nicht, wie er auch die Kette abgenommen hatte.
    »Schneller«, sagte das Schlüsselloch grob.
    Die Dunkelheit sah Wassilissa von der

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