Die weiße Hexe
als ich sie vor ihrem Haus absetzte, „dann komm zu mir. Ich bin immer für dich da.“
Gegen Abend kam ich endlich in unserem Haus in Ikoyi an. Lange suchte ich nach einem geeigneten Platz für den schönen Frauenkopf, der Victors Urgroßmutter darstellte. Ich entschied mich, den Altar in einer Ecke unseres Schlafzimmers auf einer alten Kommode herzurichten, und schmückte ihn mit Blumen, Flußkieseln, Muscheln, einer Schale Wasser und frischem Obst, wie ich es bei den Frauen im Wald gelernt hatte.
Victor hatte mir seine Rückkehr für den folgenden Tag versprochen.
Aber mich trieb eine unbekannte Unruhe durchs Haus. Während des folgenden Tages rief ich den Flughafen von Calabar wiederholt an, doch Williams Maschine war nicht gelandet. In Afrika ist es nicht Sitte, daß Frauen ihren Männern hinterhertelefonieren. Ich tat es trotzdem. Niemand gab mir Auskunft. Als es bereits dunkelte und Williams Maschine immer noch nicht wie geplant in Lagos gelandet war, machte ich schließlich die Telefonnummer des Rechtsanwalts Opele in Calabar ausfindig. Die Kanzlei war natürlich geschlossen.
Mittlerweile war es Nacht geworden. Meine Nervosität stieg. Simon litt mit seiner weißen Chefin, die wie ein Tiger im Käfig herumlief.
Wenn ich die Flugkontrolle des Privatflughafens in Lagos anrief und meinen Namen nannte, sagten sie bloß noch: „No Madam. “
Es war lange nach zehn Uhr nachts, als das Telefon schrillte. Ich war noch vor einem der boys am Apparat. Es war die Flugkontrolle in Lagos. Meine Anrufe waren ihnen so auf den Wecker gegangen, daß sie nachgeforscht hatten. „Das Flugzeug wird vermißt, Ma'am“, sagte der Mann in gutem Englisch.
„Seit wann?“ fragte ich atemlos.
„Seit gestern abend. Der Flughafen von Port Harcourt hat mit dem Piloten gegen Mittag gesprochen. Als die Maschine am Abend immer noch nicht in Calabar eingetroffen war, wurde sie als vermißt gemeldet.“
„Das ist vierundzwanzig Stunden her“, sagte ich, „und seitdem gibt es kein Zeichen?“
„Tut mir leid, Ma'am.“
Ich ließ mich auf eines der Ledersofas fallen, die Victor so gemocht hatte. In mir war alles leer, wie ausgelöscht. Seit vierundzwanzig Stunden wurde Victor vermißt! Vielleicht war das Flugzeug nicht sehr hoch geflogen. Vielleicht war William eine Notlandung auf einem der vielen Seitenarme des Niger geglückt. Allerdings hatte ich selbst in den Sümpfen das Brackwasser, das Ungeziefer und die Krokodile gesehen, die kaum erträgliche Hitze gespürt. Konnten William und Victor dort überleben? Vor Angst fast wahnsinnig, irrte ich durch das Haus. Keiner unserer Angestellten blieb im Bett.
Während einige um das Leben von Victor und William beteten und laute Klagegesänge anstimmten, entfalteten andere Aktivität. Wie ein Lauffeuer sprach sich die entsetzliche Nachricht mitten in der Nacht herum. Femi war sogar zu Abiola gefahren und brachte ihn morgens um drei zu mir.
„Wir werden Suchtrupps zusammenstellen“, sagte Abiola, „mit kleinen Schiffen die Sümpfe durchkämmen. Wir werden sie finden.
Eine kleine Maschine, die in den Mangrovensümpfen niedergeht, hat durchaus Chancen davonzukommen.“ Abiola meinte es gut. Er hatte so lange in Deutschland gelebt, daß ihm der westliche Pragmatismus in Fleisch und Blut übergegangen war.
„Danke, Abiola. Du bist ein richtiger Freund.“ Ich lehnte meinen Kopf an seine Schulter und heulte. Endlich löste sich der Schock des Anrufs in Tränen. Tränen, die nicht halfen. Trauer schnürte mir den Hals zu. Wie hatten Victor und ich um unser Glück gerungen, um es in Einklang zu bringen mit den Anforderungen, die der Clan an ihn stellte! Wir hatten einen Weg gefunden - und nun sollte mit einem Schlag alles zu Ende sein!?
Unser gemeinsames Leben wird wunderschön werden. Das verspreche ich dir. Immer wieder hörte ich die Worte Victors.
Die schönsten Augenblicke unserer kurzen Liebe flogen wie ein Film vor meinem inneren Auge dahin. Abiola sprach tröstend auf mich ein, und ich wollte seinen Worten Glauben schenken. Aber dann sah ich Victor vor mir: Mit seinem Gipsbein humpelte er zu Williams kleiner Maschine.
Ich hob den Kopf und sah Abiola tränenblind an. „Victor kann nicht schwimmen, er hat doch einen Gips!“
DIE MASKE DES LEOPARDEN
Es heißt, daß der Mensch hofft, solange er lebt. Und die Hoffnung ist die Kraft, die mich treibt. Darum wollte ich Victor nicht aufgeben und fuhr mit Abiola am nächsten Morgen in aller Frühe los. Femi bestand darauf, mich
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