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Die weiße Hexe

Titel: Die weiße Hexe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ilona Maria Hilliges
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um die sie hohe Zäune ziehen und die sie bewachen lassen. Sie tragen Anzüge aus London und Schuhe aus Mailand und vergessen ihre Brüder und Schwestern.“ Er sprach ganz offenkundig von William und Victor. „Und dann erzählen sie uns, die wir in der Tradition unserer Ahnen leben, daß wir alles falsch machen!“ Das Grinsen war aus seinem Gesicht gewichen. „Was hat Victors westliche Erziehung genutzt? Was haben die Wachen zu seinem Schutz ausgerichtet, die Hunde? Nichts haben sie geholfen! Die Geister kann man nicht mit Hunden verjagen! Man muß sie respektieren und besänftigen.“
    „Sie leben mit den Geistern der Ahnen?“
    „Ist das falsch, weiße Frau? Meinen Sie, ich sollte sein wie mein Bruder?“ fragte er schroff.

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    „Nein“, beeilte ich mich zu sagen, „aber Victor gehört einer anderen Generation an.“
    „Es gibt auch viele Männer seiner Generation, die im Einklang mit Traditionen leben“, beschied er mich.
    Zum Abschluß seiner privaten Museumsführung standen wir vor einem mannshohen Abbild Sunnys. Es war eine bunt-naive Darstellung des gedrungenen Chiefs, die den Betrachter aus starren Augen anglotzte.
    „So arbeiten die Künstler von heute. Ihr Material ist der Zement.
    Sehr haltbar“, grinste er, während er die Statue tätschelte.
    Als wir uns zum Essen niedergesetzt hatten, sagte er: „Ich habe Sie um diesen Besuch nicht gebeten, um Ihnen meine Kunstschätze zu zeigen. Es geht nicht um die Vergangenheit, sondern um die Gegenwart.“ Während Sunny sprach, stopfte er sich mit den Händen garri-Brei, den er in rote Sauce getunkt hatte, und Hühnchen in den Mund. „Bruder William sprach voller Lob und Anerkennung von Ihrer Arbeit. Ich möchte, daß Sie weiterhin Geschäftsführerin bleiben. Um Ihnen einen Anreiz zu geben, verdopple ich Ihr Gehalt. Sind Sie einverstanden?“
    Ich war sprachlos. Einverstanden? Als ob es darum gegangen wäre! Ich lebte mit der Hoffnung, daß Victor wiedergefunden wurde.
    Und dieses Rauhbein trat bereits als Nachfolger von William und Victor auf. Meine Gefühle, meine Trauer interessierten diesen Mann nicht. Betreten starrte ich auf meinen Teller. Niemals war mir ein Mensch begegnet, der mich derart herablassend behandelt hatte.
    Mein Gehalt verdoppeln! Was interessierte mich das jetzt, wo ich einen Mann vermißte, der mein Leben bedeutete, meine Liebe. Und Sunny wollte mich kaufen. Wie all die anderen, die er sich gefügig machte. Angst und Geld - das war die Welt eines Sunny.
    „Na, wollen Sie oder nicht? Das ist doch eine ganz einfache Frage.
    Ja oder nein?“ Er stippte sein garri in die rote, schleimige Suppe, die ich vorsichtshalber nicht anrührte. Es gab eine Menge Fragen zu klären. Und Sunny reduzierte alles auf Ja oder Nein! Es gab ja noch nicht mal eine Spur von den Vermißten. Während Sunny sich schon daranmachte, mich als seine Untergebene zu behandeln.
    Er musterte mich über das Essen hinweg mit seinen unergründlichen, etwas schrägen schwarzen Augen. Was sollte ich antworten? Nein? Dann wäre ich sofort aus dem Spiel gewesen.
    Sunny hätte einen Grund gehabt, mich aus dem Haus in Ikoyi zu schmeißen. Kurz: Ich hätte nichts mehr über Victors Verbleib erfahren. Zu diesem Zeitpunkt hielt ich es noch für möglich, daß er wieder auftauchte. Vielleicht, dachte ich, schafft er es, sich zu einem der kleinen Dörfer am Fluß durchzuschlagen. Gerade die Frechheit, mit der Sunny auftrat, ließ mich um so mehr an meiner Hoffnung festhalten.
    Es konnte also nur eine Antwort geben, wenn ich nicht den Anschluß an die weiteren Entwicklungen verpassen wollte.
    Unverblümt und dennoch so, als würde es für ihn eine große Belastung bedeuten, tat Sunny kund, daß er der Erbe von William und Victor sei. Aber Victor und William waren bislang nicht gefunden. Und solange würde der Leopard die Beute nicht wegschleppen können.
    „Nun, was halten Sie von meinem Vorschlag? Sie wohnen weiterhin in Victors Haus. Alles bleibt, wie es ist. Und bei Gelegenheit werden Sie mir erklären, was Sie eigentlich tun.“
    Es gab nie mehr als dieses Gespräch: keinen Vertrag, keinen Handschlag. Ich hatte nur genickt und mich damit an Sunny gebunden. Sunny erkannte schnell, daß die letzten Projekte seines Neffen durchaus zukunftsträchtig waren, und beauftragte mich später, den Aufbau der Fabriken für Toiletten- und Zeitungspapier voranzutreiben. Riesige Investitionssummen, vor denen Victor zurückgeschreckt war, schienen für Sunny kein Problem darzustellen.

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