Die weiße Hexe
gleichzeitig stellte er aber auch den jungen Mädchen nach. Ein machtbewußter Pfau.
Victor war während des ganzen Festes nicht an meiner Seite. Erst gegen Abend kam er zu mir, um ungestört mit mir zu reden. „Mein Vater ist bereit, mit Vetter Opele zu sprechen. Wir werden also gleich morgen zu Opele nach Calabar fliegen. Die Familie darf von unserem Besuch aber noch nichts wissen. Wir müssen geschickt vorgehen.“
Nur Victor und sein Vater, der sein Flugzeug selbst steuern wollte, würden nach Calabar fliegen. Ich kannte diese Gegend, denn wir hatten dort in den Sümpfen nach jenen Fässern gesucht, die sich später als Sunnys Müll entpuppten.
Ich informierte Betty, daß ich mit ihr allein nach Benin City fahren würde, weil William und Victor nach Lagos flogen. In Windeseile machte diese Nachricht an unserem Tisch die Runde. Keine der Frauen hätte sich getraut, diese stark befahrene Strecke ohne Mann oder Chauffeur zu fahren.
Am nächsten Morgen brachten Betty und ich William und Victor zum Airport nach Warri, wo Williams Maschine aufgetankt bereitstand. „Ich werde morgen abend bei dir in Lagos sein, Ilona.
Mach dir keine Sorgen“, sagte Victor zum Abschied und küßte mich lange-“Wenn ihr herausfinden solltet, daß Opele kein Interesse daran
hat, Williams Nachfolger zu werden, dann wird es für uns einen anderen gemeinsamen Weg geben, nicht wahr, mein Schatz?“
flüsterte ich Victor zu.
Da sagte Victor einige Sätze, die ich nie vergessen werde: „Du bist eine starke Frau, Ilona. Nur ich bin in letzter Zeit viel zu schwach.
Ich muß meine alte Stärke wiederfinden. Darum werde ich meinem Onkel zeigen, daß ich mich von ihm nicht einschüchtern lasse. Es muß endlich Schluß sein mit all den seltsamen Dingen, die in letzter Zeit passiert sind. Unser gemeinsames Leben wird wunderschön werden. Das verspreche ich dir.“
Auch William umarmte mich, und dann gingen die beiden zu ihrer kleinen Maschine, die in der heißen Sonne wartete.
Victor drehte sich noch einmal um und rief: „München oder London? Was würde dir besser gefallen?“
„Wo du willst. Solange du bei mir bist!“ rief ich zurück.
„Überall und immer“, schrie er und lachte mir winkend zu.
Beinahe übermütig humpelte er mit seinem eingegipsten Bein zum Flugzeug, als wäre eine schwere Last von ihm abgefallen. Ich stand lange auf dem Rollfeld und winkte der Maschine hinterher, bis sie nur noch ein kleiner Punkt am Himmel war.
„Liebe ist etwas Wunderbares“, kommentierte die runde Betty und seufzte schwer.
Die Fahrt nach Benin nutzte ich dazu, um mit Betty, Williams jüngerer Schwester, über Victors Sorgen zu sprechen. Ich berichtete von den seltsamen Anschlägen auf Victor, erzählte von dem Besuch beim herbalist.
„Er ist ein kluger Mann, dessen Voraussagen eintreffen“, sagte Betty in ihrem Pidgin-Englisch, in dem die Worte eine ganz simple Bedeutung haben. „Aber der Rat des Weisen nützt nur dem, der weise genug ist, ihn zu befolgen. Du liebst Victor, aber der Junge kennt die Kultur unseres Landes nicht wirklich.“ Sie sprach ganz offen darüber, daß sie sich mit Sunny - anders als mit William -nicht besonders verstand. „Es ist nicht möglich, Sunny ganz aus dem Weg zu gehen. Aber es gibt natürlich Mittel, seine Machenschaften aufzuhalten.“
Ich wurde neugierig. Was meinte sie?
„Alles ist miteinander verbunden, mein Kind. Sunny macht sich dunkle Mächte dienstbar. Aber jede dunkle Kraft hat eine Kraft, die gegen sie wirkt. Wenn Victor mir von seinem Problem erzählt hätte, so hätte ich ihm geraten, unsere Götter um Rat zu fragen. Sie würden ihm den Weg weisen.“
Einen anderen Nachfolger für William vorzuschlagen, wehrte sie allerdings mit einer sehr weiblich-afrikanischen Antwort ab: „Das ist eine Angelegenheit der Männer. Du wirst das noch lernen, Ilona.
Wir Frauen haben andere Aufgaben, als uns um Fragen der Macht zu kümmern.“
„Aber das betrifft mich doch auch, Betty. Victors Leben ist mein
Leben!“ warf ich ein.
„Victor wird dir sagen, wie dein Leben verlaufen wird“, entgegnete sie.
Ich beschloß, daß es besser wäre, mich mit ihr über meine Initiation zu unterhalten. Die Fruchtbarkeitsgöttin Mammy water war nämlich auch Bettys persönliche Göttin. Sie erzählte, daß sie regelmäßig in ein Dorf im Regenwald fahre, um dort eine Priesterin des Kultes aufzusuchen. Denn die Kraft der Frauen stärke sie.
„Wenn du nicht mehr weiterweißt, mein Kind“, sagte sie,
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