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Die weiße Hexe

Titel: Die weiße Hexe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ilona Maria Hilliges
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Verantwortung bewußt. Möglich, daß das auch der Sinn unserer Initiation gewesen war.
    Mir hatte diese Erfahrung Kraft gegeben - Victor hatte sie viel Energie entzogen. Er hatte mir schon früher von seiner Internatszeit erzählt, von den großen Schlafsälen, dem Mangel an Privatsphäre, dem Gehorsam, der streng eingefordert wurde. In den zwei Wochen mit den Männern seines Stammes hatte ihn vor allem genervt, daß er sich nicht zurückziehen konnte. Vieles, was er erlebt hatte, bezeichnete er als rückständig. „Jetzt kann ich auch ein Krokodil fangen. Theoretisch zumindest“, sagte er mit einem Augenzwinkern.
    Er hatte sich in der Männergesellschaft nicht so geöffnet, wie es mir bei den Frauen gelungen war. Victor war ein Kopfmensch, Rituale amüsierten ihn mehr, als daß er sie ernst nahm. Doch sie gehörten zu einem Leben als Stammes-Chef. Der in ihm schwelende Konflikt zwischen seiner Ausbildung in Europa, die sein Denken bestimmte, und den Plänen, die sein Vater mit ihm hatte, war voll ausgebrochen. Victor spürte, daß er sich entscheiden mußte
    -entweder Europa oder Afrika. Als Sohn eines Stammesfürsten mußte er eindeutig Position beziehen.
    Er stand am Fenster und blickte in den Hof, in dem sich bereits viele Menschen zu seiner und meiner Ehre versammelt hatten. Daß er nicht die Kraft hatte, eine Entscheidung zu treffen, begriff ich, als er von mir wissen wollte, ob ich mir vorstellen könne, ganz im Palast zu leben, wenn er Nachfolger seines Vaters werde. Er hoffte wohl auf ein Nein von mir, das seine Entscheidung gegen Afrika erleichtert hätte. Aber Nigeria funktionierte in meinem Inneren nicht mehr auf der naiven Ebene von Bewundern oder Ablehnen. Ich trug dieses Land in mir. Nicht nur die Schule der Frauen, sondern mein Leben in Afrika und die vielschichtigen Erlebnisse hier hatten mir meine alte Stärke zurückgegeben. Guten Gewissens hätte ich antworten können, daß ich die Herausforderung an Victors Seite annehmen würde. Aber das sagte ich ihm nicht.
    Denn es war eine dieser Fragen, die ich nicht sofort mit Ja oder Nein beantworten konnte. Zuviel spielte hinein. Ich hatte es doch selbst in der Schule der Frauen erlebt: Rituale müssen gelebt, nicht von außen beobachtet werden. Nach Victors Worten hatte er sich seiner Initiation nicht wirklich hingegeben. Und das war den anderen Männern mit Sicherheit aufgefallen.
    Ich sah den toten Stallburschen, den hingemetzelten Hund und nicht zuletzt den heimtückischen Angriff des Falken vor mir, hörte die Warnung von Mila, der Beraterin, die mein Glück in Gefahr gesehen hatte. Sicher, ich konnte keine Beweise, keine Tatsachen vorbringen. Aber meine Gefühle! Gleichzeitig weigerte ich mich, meine Gefühle Entscheidungen von so weitreichender Bedeutung treffen zu lassen: Es ging nicht nur um Victor und mich, sondern um seine Stammesleute. Deshalb mußte er selbst die Entscheidung treffen; ich durfte ihm dabei nur helfen.
    „Ich möchte mit dir alt werden“, sagte ich und legte meinen Kopf an seine Schulter, „egal wo du lebst. Möchtest du denn wirklich für immer hierbleiben?“
    „Ich will auf jeden Fall mit dir Zusammensein - mein Leben lang“, erwiderte er zärtlich und streichelte meine immer noch zu Zöpfchen geflochtenen Haare. „Nur, ob ich hier leben will - das ist eine andere Frage. Du mußt wissen, wenn ich mich entscheiden sollte, von hier wegzugehen, wird Sunny dafür sorgen, daß der Rat der Ältesten meinen Vater zum Verzicht auf den Chieftitel drängt. Erst wird Sunny regieren und dann sein Sohn Akpoviroro. Sunny wäre schon ein unwürdiger Nachfolger, aber mein Vetter Akpoviroro -der wäre die glatte Katastrophe.“
    „So schlimm?“
    „Ja. Ihm schien es ein richtiges Vergnügen zu machen, dem lebenden Krokodil das Herz aus dem Leib zu schneiden. Ich sage dir - indiskutabel.“
    Victor redete von seinem Vetter wie von einem Wilden! Ihm kam nicht in den Sinn, daß das Töten des Krokodils ein ritueller Akt gewesen sein könnte. Da war nur Unverständnis. Mir fiel mein kleiner Sohn Bobby ein, ein Mischling wie Victor, der sich an Weihnachten hinter Omas Rücken versteckt hatte, als er die schwarze Köchin sah. Nur eine kleine Äußerlichkeit, aber bezeichnend.
    „Was willst du wirklich, Victor?“ fragte ich noch einmal. „Geht es dir nur darum zu verhindern, daß Sunny und sein Sohn die Plätze von deinem Vater und dir einnehmen?“
    „Ich darf meinen Vater nicht enttäuschen“, antwortete Victor. Es klang fast

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