Die weiße Hexe
trotzig.
„Dein Vater ist ein kluger Mann. Er hat doch auch Augen im Kopf und sieht, daß du mehr ein Europäer bist. Warum sollte er dann wollen, daß du ein Leben fuhrst, das nicht zu dir paßt? Imfathouse
haben sie mir beigebracht, daß man einen Konflikt gemeinsam mit seinem Gegner lösen muß. Ihr habt doch so eine große Familie, Victor, gibt es denn da nicht einen anderen, der als Nachfolger deines Vaters denkbar wäre und den Sunny akzeptieren würde?“
Erst stieß Victor verächtlich die Luft aus, dann sah er mich mit seinem samtweichen Blick an und küßte mich. „Du hast wirklich gut aufgepaßt imfathouse“, meinte er lächelnd, „oder ist das deine angeborene Diplomatie?“ Er zog mich liebevoll an meinen Zöpfchen zu sich. „Vielleicht einer meiner anderen Vettern: Opele. Mit ihm kann man vernünftig reden. Opele liebt Afrika und unsere Kultur. Er hat auch in den USA gelebt und dort Jura studiert. Er besitzt eine eigene Rechtsanwaltskanzlei in Calabar. Opele ist nicht übel, er hat viel von der Welt gesehen, ist intelligent und ausgleichend. Er versteht die weiße und die afrikanische Welt.“
„Kannst du deinem Vater nicht vorschlagen, Opele zu seinem Nachfolger zu machen?“
„Ich weiß nicht, ob das überhaupt möglich ist, Ilona. Ich kann dir nicht sagen, wie mein Vater auf so eine Idee reagieren würde. Er müßte dann auch erst die Ältesten überzeugen, daß dies das Beste für die gesamte Gemeinschaft wäre.“
Irgendwie hatte ihn mein Vorschlag nicht begeistern können.
Glaubte er am Ende, daß ich ihm nicht zutraute, ein guter oder, wie er selbst gesagt hatte, gerechter Herrscher sein zu können? Hatte ich ihn vielleicht sogar beleidigt? „Du nimmst mir meine Worte doch nicht etwa übel?“ fragte ich sanft. „Weißt du, ich glaube nur, daß du zuviel von dir selbst aufgeben mußt, wenn du hier leben willst.“
Victor war mit seinen Gedanken schon ganz woanders. Doch als er zu sprechen begann, wußte ich, daß er meinen Vorschlag umsetzen wollte. „Zunächst einmal müßte ich mit meinem Vater beratschlagen, ob er mit deiner Idee einverstanden wäre, um dann gemeinsam mit Opele darüber ein Gespräch zu führen. Falls Opele einverstanden ist, kann der Ältestenrat in unseren Plan eingeweiht werden, der dann über das weitere Vorgehen zum Wohle der Gemeinschaft entscheiden muß ...“
Der Hof war voller festlich gekleideter Menschen. Ifeoma hatte mich abgeholt und zu meiner alten Lehrerin gebracht. Sie steckte mich in einen hübschen weißen, golddurchwirkten Wrapper mit dazu passender Bluse und Kopftuch. Victor trug einen traditionellen weißen, afrikanischen Anzug aus spitzendurchbrochenem, leichtem Material. Er wirkte so groß und so zart, so würdevoll.
Während des Essens hatte ich mit den Frauen zu speisen. Ich saß neben Williams und Sunnys Schwester Betty, die ich von Williams
„kleiner“ Party in Lagos kannte. Ihre Stola hatte ich ihr immer noch nicht zurückgeschickt. Aber sie vermißte sie nicht. Sie erzählte mir, daß sie ihren Wagen ihrem Sohn geliehen habe und jemanden suche, der sie nach Benin City mitnahm. Da Benin City auf dem Weg nach Lagos lag, konnte ich mich nun für Bettys Hilfe revanchieren.
Ich bot ihr an, daß Victor und ich sie am nächsten Tag in Victors Range Rover nach Hause fahren würden.
Betty machte mich mit zahlreichen Frauen bekannt, die mich über mein Leben ausfragten. Daß ich Ivafathouse gewesen war, begeisterte alle. Allerdings verstanden sie nicht, daß ich es als selbstverständlich ansah, Victors einzige Frau zu sein. Ein Mann wie er brauche doch viele Nachkommen! Zusammen mit Victor hatte ich oft über das Thema Kinder gesprochen. Er sah Janet und Bobby als seine Kinder an und wollte nur noch eine kleine Maria und später vielleicht einen kleinen Victor. Zwei Nachkommen fanden die Frauen zuwenig für einen Stammes-Chef. Sunny, so erfuhr ich, hatte vier Ehefrauen und einige Geliebte. Es seien so viele, kicherten die Damen an meinem Tisch, daß er gar nicht die Zeit habe, seine vier Ehefrauen in den richtigen Zeitabständen regelmäßig aufzusuchen. Trotzdem seien sie stolz, Sunnys Kinder zu gebären. An Williams Ehe- und Kinderlosigkeit nach seiner Scheidung in Europa übten sie indirekt Kritik. Doch William galt als gerechter und zu respektierender Stammes-Chef; keine Frau hätte es gewagt, ihn offen zu kritisieren.
Während des Festes beobachtete ich Sunny unauffällig. Er mischte sich zwar ständig unter die Männer,
Weitere Kostenlose Bücher