Die weiße Hexe
dem ich die Verliererin war, als sie sagte: „Der Leopard jagt bei Nacht, sister, und du bist eine Blinde. Du konntest nicht gewinnen. Kehr nach Hause zurück, beginn ein neues Leben und vergiß alles.“
Sie wollte mich trösten, aber da war ein Unterton in ihren Worten, der in meinem Gehirn die richtige Stelle ansprach. Jenen Ort, in dem mein Kampfgeist sitzt, mein Gerechtigkeitssinn, mein inneres Stehaufmännchen sozusagen. Es signalisierte mir, daß ich nicht schuld am Tod des Babys war. Alligator-Pfeffer, weise Frauen, Abort ... An diesen Worten arbeitete sich mein wieder erwachendes Hirn ab. Mit einem Schlag verstand ich sie. „Mila“, sagte ich langsam, „Sunny hat mir mein Baby genommen!“
Mila schnalzte. „Nein, sister, er hat etwas viel Schlimmeres getan.
Er hat verhindert, daß die Seele deines Mannes im Körper seines Kindes weiterleben kann. So jagt der Leopard. Er holt sich seine Beute, wenn das Opfer sich schon in Sicherheit wiegt.“
Ja, sie hatte recht. Ich hatte mich bereits zu sicher gefühlt, so kurz vor dem Rückflug ...
Ich bat Mila, mich und Abiola zu begleiten, um meine Sachen aus Victors - nun Sunnys - Haus zu holen. Felicitas hatte es sich im Wohnzimmer mit einigen Freundinnen bequem gemacht. Als wir aufkreuzten, verzogen sie sich in die Bibliothek. Der Kopf von Victors Uroma gefiel Mila sehr und vor allem der kleine Altar, den ich um den Kopf herum aufgebaut hatte.
„Deine Zeit in meinem Land war nicht umsonst“, sagte sie anerkennend.
Wir rafften alle meine Sachen zusammen, die sich ausschließlich im Schlafzimmer und im Bad befanden. Ich hatte an meinem letzten Abend alles so weit vorbereitet, daß ich es mit wenigen Handgriffen in die Koffer legen konnte. Sunny schien nichts angerührt zu haben.
Rund und grinsend stand Felicitas als Siegerin in der Tür zur Bibliothek. Ich ging als Verliererin, verwirrt und mit hängenden Schultern. Zu schwach, um dieser Frau, die meine Schwangerschaft verraten hatte, in die Augen blicken zu können.
Abiola nahm mich in seinem Haus auf, in dem seine Mutter mich bekochte. Wir kamen zu dem Schluß, daß Victors und Williams Tod völlig unnötig gewesen war. Victor hatte auf die Thronfolge verzichten wollen. Doch das hatte Sunny nie erfahren. Etwas anderes jedoch war ihm sicher nicht entgangen: Mein Angebot an seine Schwester Betty, sie nach Benin City mitzunehmen. Die Frauen hatten ausgiebig darüber gesprochen, daß ich die gefährliche Strecke selbst fahren würde - weil William und Victor am Morgen nach dem Fest fliegen wollten.
Inzwischen hatten wir erfahren, daß jemand das Höhenruder des Flugzeuges so manipuliert hatte, daß es abstürzen mußte. Eine ziemlich primitive Arbeit, besagte das Gutachten. Aber man hatte ja auch nicht erwartet, daß die Maschine jemals im Sumpf gefunden wurde.
Daß Sunnys Leute für die Manipulation des Höhenruders verantwortlich waren, stand für Abiola und mich außer Frage.
Sunny war durch den Tod von William und Victor mit einem Mal alle Probleme los. Er war der Chief und der Erbe obendrein. Als er von meiner Schwangerschaft erfuhr, „besserte“ er sozusagen nach. Ich konnte - so gesehen - froh sein, daß er nur mein Baby und nicht uns beide beseitigt hatte.
„Es ist eine Gemeinheit, daß Leute wie Sunny mit so etwas durchkommen“, sagte Abiola.
„Ja“, murmelte ich nachdenklich, „da hast du recht.“
Ich fuhr noch einmal zu Mila, um mir von ihr die Zukunft voraussagen zu lassen. Ich wollte wissen, ob ich nach all den Nackenschlägen, die mir das Schicksal verpaßt hatte, jemals wieder glücklich sein könnte.
Aber sie sah in ihren Kauris etwas anderes. „Da ist ein Hindernis auf deinem Weg, sister. Ein großes Hindernis. Dein Gegner will dich vernichten.“
„Warum sollte er das tun wollen, Mila? Ich habe Victor verloren, sein Kind ist tot. Ich bin doch schon genug gestraft!“
„Das Orakel kann dir nicht die Gründe nennen, sister. Es sieht, was passiert. Und dann kannst du deinen Weg entsprechend ändern, damit nicht eintritt, was das Orakel sieht.“
„Und wie soll ich das machen, Mila?“
„Dein Gegner ist der Leopard. Du mußt ihn mit seinen eigenen Waffen schlagen. Der Leopard hat sich Ogun als Schutzgott gewählt. Du mußt ihn also an dieser Stelle angreifen.“ Ich verstand kein Wort. Mila machte es mir wirklich nicht leicht!
Sie legte Sunnys grüne Sonnenbrille vor meine Füße, in deren Gläsern ich mich spiegelte. „Sagte ich dir nicht, daß es gut ist
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