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Die weiße Hexe

Titel: Die weiße Hexe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ilona Maria Hilliges
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vorzusorgen?“ Sie lächelte böse und stellte die ewige Gretchenfrage des Lebens: „Hast du noch Geld?“
    Was ich verdient hatte, war auf umständlichen Wegen nach Deutschland gelangt, um meine Schulden abzutragen. Aber ich hatte noch einen kleinen Beutel mit ungeschliffenen Diamanten, die Victor mir geschenkt hatte. Mila pickte sich ein paar davon heraus, nahm die Sonnenbrille und sagte: „Sehr gut. Wir fahren zu meiner
    sister Enitan.“
    Diese sister wohnte nicht weit von Mila im gleichen Stadtteil Suru Lere, der in jener Ecke allerdings noch weniger einladend wirkte.
    Nach dem Balanceakt über die stinkenden Abwassergräben standen

    Mila und ich in einem Hof, in dem einige Schweine, Ziegen und Hühner herumliefen. Es roch entsetzlich nach Kot und Urin, aber da war noch ein anderer, stechender Geruch.
    Mila führte mich zu einem Hinterhof, dessen Eingang mit jujus
    geschmückt war. Jetzt erklärte sich der stechende Geruch: Vor mir lagen, in der Sonne zum Trocknen und zum Verkaufen ausgebreitet, die unterschiedlichsten Teile von Tierkadavern - schmutzig graue Krokodilköpfe mit überlappenden Zähnen und blicklosen Augen neben abgetrennten Köpfen von Affen, Hunden, Katzen und Antilopen, ausgestopfte Eulen, Falken und Adler. Daneben unzählige Kopfskelette, ein Korb mit toten Heuschrecken, ein anderer mit Schlangen. In der Sonne trockneten Häute und Felle von Reptilien und Vierbeinern. Obwohl die Jagd auf Löwen und Leoparden auch damals schon verboten war, lagen einige Felle neben denen von Gnus und einer Giraffe. Angeekelt tappte ich auf diesem absurden Friedhof des spiritistischen Unfriedens umher.
    Enitan bot in ihrem Supermarkt auch lebende Tiere an, Uhus, Eulen und Geier etwa, die in winzigen Holzverschlägen verschreckt die Köpfe hin und her drehten oder schliefen, als wären sie bereits tot.
    Die kleinen Säckchen, die ich das erste Mal im Haus von Moses gesehen hatte, konnte man hier zu Hunderten erstehen.
    Aufgrund der großen Auswahl wirkte diese Ansammlung von Zaubermitteln, zu denen auch Metallstangen und Masken gehörten, merkwürdig unwirklich. Horror, der in solch einer Massierung auftritt, erscheint nicht mehr schrecklich. Das Gegenteil tritt ein: Nach einer Weile weicht der Schrecken der Faszination. Sie übermannt den Betrachter, der eigentlich Abscheu empfindet. Ich trat näher, zögernd zunächst, dann mutiger und sah mir einen Krokodilschädel an, dessen Knochen weiß in der Sonne leuchteten.
    „Du hast deine Wahl getroffen, sister“, sagte Mila.
    „Was meinst du?“
    „Du solltest aus all diesen Dingen etwas aussuchen. Das hast du getan. Ich werde daraus ein juju machen, das Sunny aufhalten wird.
    Vertrau mir.“
    Ich hatte den Krokodilkopf gekauft? Ich trug dazu bei, daß der verabscheuungswürdige Handel mit diesen Tieren unterstützt wurde?
    „Du kannst es auch lassen, sister“, meinte Mila, fügte aber mit einem unüberhörbaren Unterton hinzu: „Aber dann kann ich nichts für dich tun.“
    „Gibt es denn keinen anderen Weg?“
    „Du mußt Sunny mit seinen eigenen Waffen schlagen. Und dies hier“ - sie breitete die Arme aus - „sind 'seine Waffen. Du willst doch wieder zurück zu deinen Kindern? Oder nicht?“ Ihr Blick durchbohrte mich. Es gab also nur entweder - oder. Den Weg der afrikanischen Magie: dunkle Mächte mit dunkler Macht bekämpfen
    -oder abwarten, ob Milas Orakel wie immer recht hatte. Wenn sich das herausstellte, konnte es allerdings zu spät sein.
    Also nahm ich Mila Sunnys verspiegelte Brille aus der Hand und setzte sie dem Krokodil auf den nackten Schädel. „Okay, Mila, wir machen es, wie du gesagt hast. Du kennst dein Land und deine Leute. Ich vertraue dir, sister“, fügte ich mit einem Augenzwinkern hinzu.
    Ich weiß nicht, warum ich das Krokodil auswählte. Vielleicht, weil ich so viele in den Sümpfen gesehen hatte. Vielleicht, weil der Schädel in seiner knöchernen Nacktheit etwas Abstraktes hatte, nichts Wirkliches.
    Mila nahm den Schädel mit der Brille und marschierte los. „Du hast eine gute Wahl getroffen“, lobte sie mich, „deine orisha ist Jemonja, von ihr stammt dieses Tier.“ Sie gab meiner unbewußten Entscheidung somit eine mystische Bedeutung.
    Milas sister Enitan - ich nehme nicht an, daß sie ihre leibliche Schwester war - verfügte in ihrem Haus über ein weiteres Sammelsurium magischer Gegenstände, aus dem ich aussuchen mußte: Ein längliches Röhrchen mit einer roten Flüssigkeit entpuppte sich als rotes Quecksilber,

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