Die weiße Hexe
Sprichwort: „A leopard never
changes his spots.“ (Ein Leopard verändert seine Flecken nie.) WAHL DER WAFFEN
Um meine Abreisepläne zu tarnen, erschien ich wie üblich im Büro und nutzte die Gelegenheit, um alle persönlichen Unterlagen Victors verschwinden zu lassen. Denn Sunny hatte Akpoviroro ausersehen, sich in die Geschäftsführung einzuarbeiten. Der älteste Sohn Sunnys war ein Mann von Mitte Zwanzig, der von Betriebswirtschaft praktisch keine Ahnung hatte, sich aber hinter meinem großen Schreibtisch räkelte, als handelte es sich um einen Spielplatz für reiche Jungs. Er war genauso klein und gedrungen wie sein Vater, schien aber nicht über dessen hinterlistige Verschlagenheit zu verfügen.
Drei Tage vor meiner Abreise forderte Sunny mich auf, ihn und Akpoviroro zur Bank zu begleiten. Ich kannte Sunnys furchterregende Fahrweise und weigerte mich zunächst. Schließlich erklärte er mir den Grund: Er wollte, daß meine Kontenvollmachten auf ihn und Akpoviroro übertragen wurden. Ich betete, daß ich den Trip heil überstehen würde, und stieg widerwillig ins Auto.
Sunny nutzte die neue Vollmacht, um sogleich umgerechnet eine Million Mark von den Konten zu räumen. Das viele Geld ließ er in einen schwarzen Samsonite-Koffer packen. Den Koffer in der einen, den schwarzen Stock mit dem Leopardenkopf in der anderen Hand, den mit einem Gewehr bewaffneten Akpoviroro als Schatten hinter sich - so eilte Sunny zurück zum Range Rover, hinter dessen Steuer er Platz nahm. Ich wurde nach hinten komplimentiert. Akpoviroro saß auf dem Beifahrersitz, das Gewehr für alle sichtbar in den Händen, den Geldkoffer vor seinem Sitz zwischen den Knien.
Sunny bearbeitete das Lenkrad, als hätte er zu viele amerikanische Krimis gesehen. Rote Ampeln interpretierte er in grüne um, Fußgänger jagte er durch Dauergehupe zur Seite. Ein Straßenköter, der wegen seiner kurzen Beine nicht schnell genug von der Fahrbahn fliehen konnte, wurde brutal überfahren.
„Tote Hunde bringen Glück“, sagte Sunny grinsend.
Und sein Sohn auf dem Beifahrersitz freute sich mit dem rasenden Vater. Lachend richtete er das Gewehr auf Passanten, die erschreckt zurücksprangen. In Deutschland hätte uns bereits nach der zweiten Kreuzung eine Polizeistreife direkt ins Gefängnis geleitet. Ich sank von Kreuzung zu Kreuzung tiefer in die edlen Polster und kämpfte die aufkommende Übelkeit nieder. Als wir endlich in Ikoyi bei Victors Haus ankamen, schaffte ich es gerade noch, die Tür des Rovers zu öffnen. Dann übergab ich mich.
„Ilona, bist du schwanger?“ hörte ich die quietschende Stimme von Felicitas.
Mein Herz setzte aus. Na, das hatte noch gefehlt, daß Sunny von meiner Schwangerschaft erfuhr. Ich hielt mich keuchend vornübergebeugt am Rover fest und sah zu Sunny hoch. Der entblößte sein Raubtiergebiß und strahlte mich an. Dann schüttelte es mich erneut.
„Das ist sehr interessant. Ein Baby von Victor. Oh, Mann, das ist wirklich eine Überraschung. Ilona, Sie sind eine kluge Frau, eine wirklich kluge Frau.“
Ich schleppte mich erschöpft ins Haus und ließ mich aufs weiche Sofa fallen. Nachdem ich wieder etwas zu Atem gekommen war, japste ich: „Sunny, es ist Ihr Fahrstil. Er ist wirklich zum Kotzen.“
„Sie verlieren nie Ihren Humor, Ilona.“ Er schüttelte lächelnd den Kopf. „Schade, daß Sie die Frau Victors waren. Wirklich schade.“
Über den Sinn dieses Satzes konnte ich nicht hinreichend nachdenken, denn nun petzte Felicitas: „Darling, Ilona hat gestern morgen auch erbrochen!“
Blöde Kuh! Ich hatte so aufgepaßt! Aber in diesem hellhörigen Haus aus Holz hörte man wirklich alles. „Unsinn“, sagte ich und holte mir ein Glas Wasser, „ich hatte mir den Magen verdorben.“
„Sicher“, kicherte Sunny, legte seinen Arm um Felicitas' runde Hüften und leitete sie nach oben.
Sie sind eine kluge Frau, hatte er gesagt. Denn er hatte die Bedeutung meiner Schwangerschaft sofort begriffen: Ich bekam Victors Erben. Daran verschwendete ich zu diesem Zeitpunkt zwar keinen Gedanken, denn ich wollte das Baby um seiner selbst und um unserer Liebe willen. Solche Gefühle waren einem Sunny allerdings keinen Gedanken wert. Zitternd verkroch ich mich ins Bett. Die Zeit lief gegen mich - noch zwei Tage, bis ich ins Flugzeug steigen konnte. Zwei Tage, in denen ich beschloß, vorsichtig zu sein. Die Sache hatte nur einen Haken - ich wußte nicht, wovor ich mich schützen mußte.
Am Tag vor meinem geplanten Abflug
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