Die weiße Hexe
eine messingfarbene Hülse war eine Gewehrpatrone, und ein dreckiger weißer Beutel enthielt roten Sand. All dies wechselte für den Gegenwert meiner Diamanten, die die grobschlächtige Enitan ungerührt entgegennahm, den Besitzer.
Anschließend brachte ich Mila zurück zu ihrem Haus. „Was wirst du damit machen?“
„Dabei darfst du nicht zusehen. Aber die Zutaten, die du ausgewählt hast, weisen mir den Weg. Sunny wird von einer Gewehrkugel getroffen werden. Sie wird ihn in den Sand schleudern, und sein Blut wird den Boden rot färben.“
Das sagte sie sehr bedeutungsvoll. Ich hatte bereits einiges erlebt -
aber an diese Prophezeiung glaubte ich nicht. Trotzdem hütete ich mich, meine Skepsis zu zeigen.
Mila legte alles auf ein großes, verwittertes Holzbrett und befahl mir, die Gegenstände zu bespucken. Immer diese Spuckerei! Aber inzwischen kannte ich den Grund: Indem ich etwas bespuckte, stellte ich einen persönlichen Bezug zu den Gegenständen her, die meinen Gegner aufhalten - oder töten? - sollten. Ich mußte einen Schluck Gin als Opfer für Jemonja nehmen und noch einmal spucken. Schon der Geruch von Alkohol - ich haßte ihn. Angewidert nahm ich einen zaghaften Schluck und spuckte fauchend über die Dinge. So wie ich es bei den babalawos gesehen hatte.
„Perfekt, sister.“ Mila grinste. „Ich habe den Haß und den Ekel in deinem Gesicht gesehen. Es wird ein gutes juju werden.“
Ich fuhr hinaus an den Strand. Dort, wo Victor mich im Arm gehalten hatte, setzte ich mich in den Sand und ließ die Wellen meine Füße umspülen. Wahrscheinlich habe ich eine kleine Ewigkeit so gesessen, völlig in mich selbst versunken. Mir fiel das Wasserritual ein, die Fruchtbarkeitsgöttin Mammy water, die Mila Jemonja nannte und die angeblich meine Schutzgöttin war. Und plötzlich dachte ich an Betty, Williams rundliche Schwester.
„Vielleicht solltest du, wie ich es regelmäßig tue, in ein kleines Dorf im Regenwald fahren“, hatte sie einmal gesagt, „um dort eine Priesterin des Mammy water-Kultes aufzusuchen. Durch die Göttin
Mammy water hat sie die Macht, dir zu helfen, in jeder Lebenssituation deine innere Balance wiederzufinden. Sie wird dir gleichzeitig die nötige Kraft geben, um deinen weiteren, vorbestimmten Lebensweg zu gehen.“
WIE EIN FISCH IM WASSER
Für meine letzte Reise durchs Land bat ich Abiola, mir seine hübsche Labradorhündin Cilly, den wachsamen Zollhund, als Begleitung mitzugeben. Ich fuhr nach BeninCity zu Betty, die versprochen hatte, mir zu helfen. Zum Glück traf ich sie noch an, denn sie war im Aufbruch: Am folgenden Tag wollte sie in den Norden reisen, um Geschäfte zu machen. Auch meine Bargeldsorgen löste Betty - sie gab mir für zwei meiner Diamanten mehr Nairas, als ich erwartet hatte.
Auf dem Markt half sie mir, weiße Kleiderstoffe und Glasperlen, Palmwein und Gin, Kolanüsse und Früchte auszusuchen. All dies, trug mir Betty auf, sollte ich den Priesterinnen des Wasserkultes als Gastgeschenke mitbringen. Ich mußte sie nur noch finden - und sie dann davon überzeugen, daß ich, die weiße Frau, dringend ihres Beistands bedurfte.
Es war viel einfacher, als ich angenommen hatte. Etwas außerhalb des Ortes Iselegu, den Betty genannt hatte, entdeckte ich nach etwas Suchen an einem Haus ein naives, buntes Wandbild. Ein Gemälde, das in seiner Schlichtheit auch mir als Europäerin sofort verständlich war: eine Frau mit nacktem Oberkörper und Fischleib, eindeutig als Nixe zu identifizieren. Erst jetzt wurde mir bewußt, daß ich auf den Fahrten durch die kleinen Dörfer im Nigerdelta schon öfters solche Wandnixen gesehen hatte, ohne mir über deren Bedeutung klar zu sein. Sie wiesen auf die dort wohnenden Priesterinnen des Mammy warten Kultes hin.
Durch einen schmalen Torbogen betrat ich einen sandbedeckten, höchstens zehn mal zehn Meter großen Hof, der auf drei Seiten mit flachen Gebäuden umbaut war. Von den verschiedenen Wandbildern, die sich fast alle mit Wasser, Fischen und Schlangen befaßten, stach vor allem eines ins Auge: die Darstellung einer rundlichen Frau, die sich eine Schlange um die Schultern gelegt hatte.
Bevor ich das Kunstwerk näher in Augenschein nehmen konnte, kamen nach und nach immer mehr sehr junge Mädchen aus den flachen Häusern heraus. Sie trugen schneeweiße Tücher, die mich an Bettlaken erinnerten, um die Hüften. Ihre Oberkörper waren unbekleidet. Mit verhaltener Neugier musterten sie mich, eine von ihnen lief zurück ins
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