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Die weiße Hexe

Titel: Die weiße Hexe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ilona Maria Hilliges
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liebevoll. Master Tomorrow sah genau zu.
    „Ilona, sieh dir das mal an“, rief Vater plötzlich und verschwand. Ich fand ihn gebückt vor einem der Peugeots. Breite Druckstellen verliefen hinter den vorderen und vor den hinteren Kotflügeln, der Lack war bis aufs Blech abgeschabt.

Rost.
    „Das kommt vom Entladen. Die Seile“, erklärte John. Ich blickte ihn entgeistert an. „Ist auch an dem grünen Peugeot da drüben“, fügte er hinzu. Wir sahen uns auch dort die Bescherung an.
    Wieder ein Schreckensschrei von Vater: „Ilona, der Peugeot da drüben! Der hat ja keine Räder mehr. Der ist ja bloß aufgebockt!“
    Und dann sahen wir genauer hin: Hier fehlten die Räder, fast kein Wagen verfügte mehr über Scheibenwischer, meistens waren die Spiegel abmontiert, aus einigen hatte man die komplette Beleuchtungsanlage entfernt.

    „Okay, er soll seinen Mercedes haben. Wenn die Wagen hier noch länger stehen, können wir sie gar nicht mehr verkaufen.“ Vater hatte seine Lektion schnell gelernt und Master Tomorrow kein anderes Ergebnis unserer Besichtigungstour erwartet. „Frag ihn, ob wir die Autos jetzt gleich mitnehmen können.“
    Ich hatte zwar meine Zweifel, daß es so einfach gehen würde, übersetzte aber brav.
    Ein freundliches, breites Grinsen war die Antwort. „Do you have
    your licences?“
    Zack, die nächste Hürde! Lizenzen? Wofür?
    John erklärte es uns: Die Regierung hatte, um zu verhindern, daß immer mehr nigerianisches Geld ins Ausland abfloß, Einfuhrlizenzen verhängt. Pro Nigerianer ein Auto - im Jahr. Wir waren nur ein Nigerianer - und hatten zehn respektive neun Autos.
    Unverdrossen fragte ich, wie lange es denn dauere, diese Linzenzen zu bekommen. Drei Monate! Wie sollte ich das meinem Vater beibringen?
    Wir fuhren zurück nach Ikeja. Im Auto sagte ich es meinem Vater.
    Sein Wutanfall überbot an Lautstärke mühelos jedes Autoradio mit High-Life-Musik neben uns im Stau. Ich beschloß, meinen Vater für die nächsten Tage in seinem klimatisierten Hotel zu lassen, um seine Nerven zu schonen. Und meine.
    John und ich fanden den für die Einfuhrlizenzen zuständigen Beamten diesmal im ersten Anlauf. Ich hatte ja dazugelernt. Wie es der Zufall wollte, konnte auch dieser Herr noch einen Wagen gebrauchen. Sein Tarif lag allerdings etwas höher als der von Master Tomorrow: Kriegt er ein Auto, bekommen wir die Lizenzen für fünf. Auf gut deutsch: Insgesamt mußten wir drei Autos
    „abgeben“, um zehn - theoretisch, wohlgemerkt -
    herauszubekommen. Tolles Geschäft.
    Als ich Vater nach zwei Tagen in seinem Hotel aufsuchte, platzte er schon bei meinem Anblick vor Zorn. Die nigerianischen Einfuhrmodalitäten gaben seinen Nerven den Rest. Ich schlug ihm vor, nach München zurückzufliegen. Helfen konnte er nicht, seine Anwesenheit hier verursachte nur noch mehr Kosten. Er willigte ein. In seinen Augen war ich die Schuldige. Daß John uns den ganzen Mist eingebrockt hatte, auf diese Idee kam er nicht. Leider hatte ich nicht den Mut, ihm gehörig die Meinung zu sagen. Ich fraß meinen Zorn lieber in mich - den Zorn auf Papa, auf John, auf Afrika, auf mich.
    Am Flughafen erklärte uns die smarte Lady am Lufthansa-Schalter, daß bedauerlicherweise alle Flüge nach Deutschland ausgebucht seien. Aber sie könne meinen Vater auf die Warteliste setzen. Er müsse sich dann jeden Abend am Flughafen einfinden und sein Glück versuchen. Das machten wir tatsächlich zwei Abende lang.
    Bis Vaters Nerven endgültig den Dienst versagten und er laut jammernd mitten in der Halle zusammenbrach. Sogar der Chef des Flughafens kam herbeigeeilt, weil alle glaubten, Vater hätte einen Herzinfarkt, was zum Glück nicht der Fall war. Der Flughafendirektor ließ seine Beziehungen spielen, und zwei Stunden später saß mein geplagter Vater in einem Airbus der Nigerian Airways. Vor der Abreise hatte ich ihn gebeten, mich bei meiner Firma in Deutschland krankzumelden. Mein Rückflug sollte in vier Tagen gehen.
    Vater hatte in seiner Brieftasche noch genau zehn Mark. Das reichte für die Fahrt vom Flughafen nach Hause.
    Afrikanischen Boden hat Papa nie mehr betreten.
    So seltsam es auch klingt: Mein Vater konnte zur Beschaffung der Rostautos nichts Konkretes beitragen, aber seine Anwesenheit hatte John und mir einen hohen Stellenwert gegeben. Ohne ihn war ich in dieser von Männern beherrschten Welt nur noch die Frau eines Nigerianers, Johns Anhängsel. Mit der Abreise meines Vaters aus Nigeria verloren wir in den Augen von

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