Die weiße Hexe
Haus etwa zwanzig bis dreißig Bewohner hatte. Das uns zugewiesene „Zimmer“ war komplett eingerichtet: ein Metallbett, zwei wackelige Stühle, ein Eßtisch sowie eine Holzkommode, deren Schlösser aufgebrochen worden waren. An der Decke eine nackte Glühbirne. Bei näherer Untersuchung unseres Quartiers entdeckte ich in allen vier Ecken Weihrauchgefäße, an den Gardinen hatte irgendjemand mit langen Lederbändern handtellergroße Lederamulette befestigt. Ich berührte sie.
„Faß das nicht an!“ rief John scharf. „Das sind jujus. Mach sie nicht ab. Sie beschützen uns.“
Beschützen? Auf jeden Fall beschützten die jujus die roteingestaubten Gardinen vor der Waschmaschine, scherzte ich.
„Waschmaschine?“ brummte John. „Eine Waschmaschine gibt es nicht.“
Na, das hatte ich ja prima hingekriegt! Zusammen mit einem Mann, mit dem ich eigentlich im Trennungsjahr lebte, saß ich nun in einem Raum von der Anmut eines Gefängnisses, mit der Aufgabe betraut, das Vermögen meines Vaters zu retten.
Ich konnte keinen Schlaf finden und wälzte mich ruhelos auf der Wirbelsäulen-Killer-Matratze herum. John verstand das als Annäherungsversuch, und so rutschte ich rasch an den äußersten Rand des Bettes und zeigte ihm wortlos meine in einen Wrapper gewickelte Rückseite. Beleidigt drehte er sich um.
Irgendwann in der Nacht mußte ich auf die Toilette. John schloß die Tür unseres Zimmers auf, und ich sah, daß vor dem Türschloß auch
ein juju hing. Der Flur des Hauses wurde von einer Glühbirne beleuchtet. Ein langer Gang, auf jeder Seite drei Türen, hinter denen man wummernde Musik oder Kinderlärm hörte. An jedem Ende des Ganges befand sich eine weitere Tür, die mit sechs dicken Schloßriegeln verrammelt war. John schob sie zur Seite, dann sperrte er mit einem Schlüssel auf, und wir traten in die rabenschwarze Nacht. Er gab mir eine Taschenlampe und führte mich zu einem mannshohen, aus Bambusmatten, Seilen und Pfählen gebastelten Versteck. Und machte kehrt.
„He, was soll das sein?“
„Ich denke, du mußt mal.“
„Was, hier? Wie denn?“
„Hinhocken.“
Er entfernte sich, und ich betrat die stinkende Höhle der Fliegen.
Die „Toilette“ bestand aus einem simplen Erdloch, links und rechts ein Brett.
Zwei Minuten später traf ich John am Haus wieder. „Wo kann ich mir die Hände waschen?“ John atmete hörbar genervt durch und ging zum Brunnen. Während ich leuchtete, schöpfte er mit einem Eimer Wasser. In der Nähe des Brunnens lag in einer Schale ein Stück Seife. John goß mit einer Blechschüssel Wasser über meine Hände. Erschrocken floh eine wasserscheue Ratte. Mit einem Aufschrei fuhr ich zurück, John erschrak über meinen Schrei, und da hatte mein Wrapper seine nächtliche Brunnentaufe weg.
Inzwischen weiß ich, daß der eigene Brunnen schon einen großen Luxus bedeutet. In jener Nacht aber waren mir solche Zusammenhänge
fremd. Ich dachte an mein schönes Bad in München. Und beschloß, hier zumindest in der Nacht nie wieder aufs Klo zu gehen.
Zurück im Zimmer plazierte John wieder das seltsame juju vor dem Türschloß. Ich deutete auf das kleine schwarze Beutelchen. „John, das ist doch kindisch. Wovor soll das denn schützen?“
„Das hält Unglück fern.“
Daß man sich in diesem Haus vor Unglück fürchtete, begann ich zu verstehen, als der Hausherr heimkehrte: Moses, der kranke Bruder von John. Er erschien eine Stunde nach Mitternacht, und sein Auftauchen versetzte das ganze Haus in Aufruhr. Er hatte lange und kräftig gegen die verriegelten Türen schlagen müssen, bis ihn jemand hörte, der dann seinen ganzen Mut zusammennehmen mußte, um aus seinem Zimmer herauszukommen.
Moses bot das Bild menschgewordenen Elends. Die schwarze Haut grau, eingefallen, zitterte er in der afrikanischen Hitze vor Fieber. Er war aus dem Heimatdorf der Famihe Wowo zurückgekehrt, wo er bei einem Medizinmann, einem babalawo, Hilfe gesucht hatte. Das Problem war nicht, daß der Buscharzt bei Moses mit seinem Latein am Ende gewesen wäre. Er verlangte nur mehr Geld.
DER SCHWAGER UND DIE JUJUS
Leben ist oft eine Frage des richtigen Timings. Was Johns Bruder Moses betrifft, hatte ich den denkbar schlechtesten Zeitpunkt erwischt, diesen Mann kennenzulernen. Moses hätte mir unter
„normalen“ Umständen wohl mit meinen Autos helfen können. So aber wurde ich Zeugin, wie er sich mit aller Kraft gegen einen Todesfluch wehrte. Vergebens.
Moses war das Zweitälteste Kind seiner
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