Die weiße Hexe
Familie und der älteste Sohn. Die Familie Wowo stammte aus dem Mittelwesten Nigerias und hatte Moses schon mit sechs Jahren nach Lagos geschickt.
Dort lebte er in der Familie eines Vetters, wie weitläufige Verwandte allgemein bezeichnet werden. Zwei Jahre lang durfte der kleine Moses die Schule besuchen, bevor er mit acht begann, das Gewerbe seines Vetters zu erlernen.
Im Gegensatz zu dem acht Jahre jüngeren John hatte Moses sich sein Leben zielstrebig aufgebaut: Mit 15 machte er sich selbständig und hatte bald eine eigene Gartenbaufirma mit Angestellten und zwei Autos. Mit zwanzig heiratete er seine Frau Efe, die fleißig den Wohlstand als Händlerin mehrte. Die beiden bauten sich in Agege das große Haus, in dem ich zu Gast war, und vermieteten Zimmer.
Dann kam der Wendepunkt. Moses war Mitte Dreißig, als ihm auffiel, daß er zwar mit seiner Efe fünf Kinder hatte, aber nur Mädchen. Ich tue ihm wohl nicht Unrecht, wenn ich unterstelle, daß es ihm bei Rhoda nicht allein um die Vermehrung seiner Gene in Gestalt kräftiger Knaben ging: Rhoda war eine Schönheit. Und sie war 15
Jahre jünger als Efe, die fleißige Mutter seiner fünf Töchter. So heiratete Moses auch Rhoda, die in dem langgestreckten Flachdachbau ihr eigenes Zimmer bekam, während Efe mit den fünf Mädchen in einem Zimmer lebte. Efes Familie wohnte in einem Dorf fünfhundert Kilometer östlich von Lagos, und dorthin fuhr sie, um Ratschläge einzuholen, wie mit dem treulosen Moses umzugehen wäre.
Nach ein paar Monaten kam Efe nach Lagos zurück. Rhoda, die schöne Nebenbuhlerin, hatte mit Moses fleißig für männlichen Nachwuchs geübt. Mit Erfolg: Sie war schwanger. Doch Efe schien sich nicht abschrecken zu lassen. Sie verwöhnte ihren Moses mit seinen Lieblingsspeisen und zeigte ihm ihre Liebe ganz unverhohlen. Efes Taktik trug Früchte: Auch sie wurde wieder schwanger.
Nur eines machte Moses stutzig: In ihrem Zimmer hatte Efe eine Kommode, die sie jetzt sorgfältig verschlossen hielt. Als Moses den Schlüssel dazu forderte, wurde sie wütend. Etwa um die Weihnachtszeit -just in den Tagen, als John bei uns in Bayern auftauchte - bereitete Efe ihrem Moses ein großes Festmahl zu. Nur für ihn allein. Der Erfolg war enorm: Von diesem Tag an hatte Moses Schwierigkeiten, auf die Toilette zu gehen. Während seine beiden Frauen immer runder wurden, nahm Moses rapide ab, fühlte sich schwach, hatte Fieber. Bald daraufwar er nicht mehr in der Lage zu arbeiten, konnte keine neuen Aufträge für seine Gartenbaufirma heranholen oder seine Angestellten beaufsichtigen.
Moses spürte die Gefahr; er fuhr nach Hause in sein Dorf und bat seinen babalawo um Hilfe. John erzählte mir, der babalawo habe ein Orakel befragt, das ihm sagte, Moses sei sterbenskrank. Moses schickte einen Boten nach Lagos, der wiederum ein Telegramm nach Bayern sandte. Diese Nachricht holte John nach Nigeria zurück, und von diesem Zeitpunkt an war John das Schicksal seines Bruders wichtiger als unsere Autos.
John und Moses machten sich als erstes daran, Efes Geheimnis zu lüften, das nach Ansicht des babalawo einen ganz eindeutigen Namen hatte - Hexerei. Sie stellten die Beweise in der verschlossenen Kommode sicher - zerstoßene Blätter und Früchte, Pulver, Salbe und Weihrauch. Efe wurde verstoßen und samt Töchtern in ihr Heimatdorf geschickt. Damit sie niemals zurückkehren konnte, wurde
der juju-Zauberkram am Türschloß und den Gardinen angebracht.
Leider machte das Moses nicht gesund. Ebensowenig wie ein weiterer Besuch beim babalawo, von dem er in jener Nacht zurückkehrte.
Die Rücksicht auf Moses' Zustand konnte mich nicht zur Selbstverleugnung bringen: Ich fragte, ob wir uns nicht einen seiner beiden Lieferwagen ausleihen könnten, um die notwendigen Fahrten zu machen. John hatte schon gefragt. Aber: „Es gibt ein Problem. Mit dem einen Wagen holen die Arbeiter die Ziegen aus dem Norden.“
„Ziegen?“ Meiner naiven Auffassung nach waren Ziegen der Feind des Gärtners. Aber das war falsch gedacht: Diese Ziegen sollten dem Gärtner Moses und seinem Team helfen - als Opfertiere, damit die Geschäfte besser liefen.
„Okay. Und der andere?“
„Der steht in der Firma.“
„Dann laß uns doch hingehen!“
Zu dritt warteten wir am Straßenrand auf ein Taxi. Moses konnte nicht gerade stehen, hockte schmerzgekrümmt im Staub. Ich hatte die falsche Hautfarbe und befand mich in Begleitung von zwei Männern. Dieses Trio wollte kein Fahrer gern mitnehmen. Und
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