Die weiße Hexe
Moses der Zusammenhang zwischen dem Geschlecht seines Kindes und der Sinnlosigkeit seines eigenen Leidens bewußt gewesen ist. Er ließ es sich jedenfalls nicht anmerken. Er schien sich über das kleine Baby mit dem dichten Kraushaar und den wachen Augen enorm zu freuen. Der Tradition gehorchend, grub er noch am Abend unter Schmerzen im steinharten Lehmboden außerhalb des Grundstücks am Fuße eines Plantain-Baumes ein Loch, in dem er die Nachgeburt begrub.
John machte mir schnell klar, daß wir in der kommenden Woche bereits komplett verplant waren: Rhodas Kind würde am Ende dieser Woche, genau am siebten Tag nach der Geburt, mit einem prächtigen Tauffest auf Erden willkommen geheißen werden. In der Zwischenzeit hätten wir alle Autos aus dem Hafen geholt. Ich berichtete John von meinem Reinfall mit den Frachtpapieren. Da er sicher war, dieses Problem allein durch seine Anwesenheit zu lösen, fuhren wir am Tag nach seiner Rückkehr zum Hafen. Ich hätte es mir denken können: Kaum stand ich vor der nahen Lösung eines Problems, tauchte ein neues auf: Der Hafen war geschlossen worden!
An den Umstand, daß der Hafen privat war, hatte ich bis dahin keinen Gedanken verschwendet. Jetzt erfuhr ich, daß die Regierung alle privaten Häfen dichtgemacht hatte. Von nun an sollten alle Luxusgüter - und darunter fielen natürlich auch unsere Autos - nur noch über die staatlichen Häfen verschifft werden. Eine wirtschaftspolitische Kontrollmaßnahme, die die schwache Währung schützen sollte. Diesmal war die Angelegenheit auch nicht mit schönen Worten und Scheinen zu regeln. Im Gegenteil: Der Buchhalter
machte uns eine horrende Rechnung über Standgebühren auf!
Unser Autoimport hatte endgültig die Dimension eines Kampfes Getreidekorn gegen Mahlstein angenommen. Ich sah meinen Elefantenhaar-Reif an: schmerzhafte Prüfungen!
Wenigstens den Pick-up konnten wir aus der Gartenbaufirma holen.
Moses ließ damit Hühner, Reis und Yams beschaffen, um die wohl hundert Gäste zu verköstigen. Bereits am fünften Tag nach der Geburt begannen die Vorbereitungen für das opulente, letzte Familienfest, an dem Moses teilnehmen würde - die Taufe seines noch namenlosen sechsten Mädchens.
FRISCHER FISCH GEGEN EHEPROBLEME
Die ganze Nacht wurde vom siebten auf den achten und den folgenden Tag getanzt und gefeiert. Auch Rhoda tanzte auf dem Hof des Anwesens unter dem Affenbrotbaum, im Schein eines Feuers, brennender Fackeln und Petroleumlampen, das Neugeborene meistens mit einem großen Baumwolltuch um ihre Hüfte gebunden.
Erstaunlich, wie viele Verwandte, Freunde und Bekannte Rhoda und Moses hatten. Sie schenkten ihr und dem Neugeborenen in einer
spraying genannten Zeremonie viel Geld, das sie der tanzenden Rhoda an die Stirn klebten. Sich bedankend, steckte sie die Naira-Scheine nach und nach in eine Falte ihres Wrapper-Rockes, bis ihr Bauch wieder denselben Umfang wie vor der Geburt anzunehmen schien ...
Das Baby erhielt zwei Namen: einen christlichen, Nora, und einen afrikanischen, Oghenekome. In der Sprache des Isoko-Stammes meines Schwagers bedeutet das „Gottes Wille geschehe“.
Irgendwann während des Festes sagte John: „Ich habe mit dem
babalawo auch über unsere Probleme gesprochen, Ilona. Er ist ein sehr weiser Mann. Er sagt, er kann uns helfen.“
Ich sah ihn mißtrauisch an. Wir saßen auf einer langen Holzbank am Rande der Tanzfläche. Rhoda tanzte in der Mitte ihrer Gäste. John wirkte ein wenig wie ein exotischer Stammesfürst. Im Licht der flackernden Fackeln schimmerte seine dunkle Haut warm. Er trug ein dreiviertellanges afrikanisches Hemd mit dazu passender Hose aus weißem, durchbrochenem Baumwollstoff, der mit seiner Haut wunderbar kontrastierte. Den gleichen Stoff hatte Moses für mich organisiert. Ich wirkte darin wie Johns zu blaß geratener Zwil-ling. Ich wette, daß wir beide nicht aussahen wie ein Paar, das -
zumindest aus meiner Sicht - in Scheidung lebte.
John blickte unverwandt auf die nigerianische Schlager spielende Band am Ende der Tanzfläche, während er fortfuhr: „Der babalawo
meinte, unsere Eheprobleme sind schuld, daß es mit dem Autoverkauf nicht klappt.“
„Ach ja? Und siehst du das auch so?“
„Er ist ein erfahrener Mann. Er sagt, die Mißverständnisse und Spannungen zwischen uns bewirken, daß unser gemeinsames Geschäft zu keinem guten Ergebnis kommt.“
„John, worauf willst du hinaus? Wenn du mit mir schlafen willst, dann sag es. Aber die Antwort kennst du.“
Weitere Kostenlose Bücher