Die weiße Hexe
mußte ich wechseln, als der Weg an kniehohem Gras vorbeiführte. John meinte, es könnte hier Schlangen geben ... Wie aufmerksam! Zum Glück hatte ich ein Paar Leinenturnschuhe in meiner Umhängetasche. Allerdings garantiert auch nicht das perfekte Schuhwerk, um gegen Schlangenbisse immun zu sein ...
Die vom Highway aus dicht anmutende Regenwald-Vegetation öffnete sich auf einer Anhöhe zu einem lichteren Hochwald. Von hier erstreckte sich die Feuchtsavanne bis zum siebzig Kilometer entfernten Ibadan. Wir kamen an einigen Brandrodungen vorbei.
Gekrümmte Gestalten - darunter viele Kinder - beackerten den bestellten Boden, um Yamswurzeln und Maniok zu ernten.
Dazwischen Bäume mit Zitrusfrüchten, Colanüssen und Bananenstauden. Ziegenherden, bewacht von Hirtenjungen, fanden hier Nahrung.
Wir gingen und gingen, Moses mit nacktem Oberkörper tapfer voraus, eine Metallschüssel mit den Getränkeflaschen auf dem Kopf, bedrohlich schwankend. John, europäisch mit Hemd und Bügelfaltenhose, schleppte drei Säcke, die mit Lebensmitteln gefüllt waren - Gaben für den Buschdoktor. Verständlich, daß der nach Natura-lien verlangte, die es in der Abgeschiedenheit nicht gab: Gordon's Dry Gin und Jim Beam, 7up und Cola, Reis und getrocknete Bohnen. Am liebsten hätte ich mich über Johns Cola hergemacht, aber in der Aquatorhitze stand sie kurz vorm Siedepunkt.
Endlich ein Verkaufsstand im Irgendwo mit gerösteten Maiskolben -
und frischem Wasser, das mit der großen Schöpfkelle aus einem Eimer zum Trinken dargeboten wurde. Rast! „Oyibö, öyibo!“
erklang es sofort. Eine rundliche Frau schleppte mit ihrem kleinen Sohn zwei etwa dreißig Zentimeter große, runde Dinger heran. Bei näherem Hinsehen entpuppten sie sich als Schnecken.
Urwaldmonster, von denen ein französischer Gourmetkoch Alpträume bekommen hätte. Wunderbar, gekauft! Der Buschdoktor wird seine helle Freude an uns haben. Riesenschnecken, gut und schön, aber wo waren die „typisch“ afrikanischen Tiere, die Antilopen, Gazellen oder was auch immer der Stolz eines deutschen Zoos gewesen wäre?
„Aufgegessen“, meinte John. Nicht von Löwen, sondern von den viel zu zahlreichen Menschen zwischen Lagos und Ibadan, den beiden rasend schnell wachsenden Ballungszentren im Südwesten Nigerias, von denen Ibadan das größere ist. 1980 lebten in Lagos vier Millionen Menschen, 1990 bereits sieben Millionen! Noch atemberaubender ist die Entwicklung von Ibadan, das 1990
geschätzte zehn Millionen Einwohner zählte. Beide Städte liegen nur knapp 150 Kilometer voneinander entfernt. Da ist kein Platz mehr für Wildtiere.
Während ich meine geschwollenen Stadtfüße massierte, stimmte John mich auf das Kommende ein. Wir befanden uns im Land der Yoruba, einem von insgesamt 250 Stämmen und Volksgruppen, die erst Mitte der sechziger Jahre zum Staat Nigeria in seiner heutigen Form zusammengeschweißt worden waren. Von allen Stämmen sind die Yoruba wohl der bekannteste. Die Sklavenhändler hatten ihre Angehörigen bis nach Amerika und Haiti verschleppt, wo aus ihren ursprünglichen Riten im Laufe von Jahrhunderten ein weltbekannter Kult wurde - Voodoo. Von diesen Riten hatte ich bislang in Form der jujus an Gardinen und Schlössern nur die Spitze des Eisbergs gesehen.
John war kein Yoruba, sprach ihre Sprache aber, als wäre er einer von ihnen. Mein umtriebiger Ex-Mann war bereits als kleiner Junge nach Lagos zu Moses gekommen und dort unter den Yorubas aufgewachsen.
Um Unterstützung von einem echten Yoruba-Medizinmann zu erhalten, war ich bereit, meilenweit zu laufen. Allerdings nicht wegen Autos oder Ehe, sondern aus Neugier.
„Ilona, was du sehen wirst, wird dir vielleicht, hm, seltsam vorkommen. Der heilige Mann, zu dem wir gehen, opfert seinen Göttern, er ruft unsere Ahnen an, um sie milde zu stimmen.“ Er schien zu überlegen, wie er seine Oyuba-Frau richtig einstimmen konnte. „Als Weiße wärst du noch vor ein paar Jahren gar nicht erst zu ihm gelassen worden.“
„Vor ein paar Jahren hätte ich auch nicht im Traum daran gedacht, zu einem Medizinmann in den Busch zu gehen, John.“
John sah mich ernst an. „Die Weißen meinen, ein babalawo ist ein Medizinmann. Das stimmt nur zum Teil, denn er macht auch Medizin. Aber das Wichtige ist, daß er ein Priester der Ifa-Religion ist. Du mußt ihm also deinen Respekt erweisen. Zur Begrüßung mußt du niederknien. Männer müssen in seiner Anwesenheit sogar flach auf dem Boden liegen. Bis der
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