Die weiße Hexe
heilige Mann uns erlaubt, aufzustehen und uns auf einen vorbestimmten Platz zu setzen.“
Bald darauf fanden wir uns im dichten Regenwald wieder. Hin und wieder begegneten uns Schwarze auf dem schmalen Pfad. Einmal sah ich in einiger Entfernung im Busch zwei völlig nackte schwarze Frauen, die von Kopf bis Fuß weiß bestäubt waren, die Haare mit bunten Federn geschmückt. „Sieh nicht hin. Sie sind verrückt“, sagte John.
Auf einem alten Fahrrad rumpelte ein junger Mann dahin, der auf dem Gepäckträger eine Frau und eine zweite auf der Lenkstange transportierte. Ein Knall, alle drei fielen hin. Und lachten. Dann schoben sie das Rad weiter, dessen Vorderreifen geplatzt war.
Und dann waren wir am Ziel. Eine Lichtung, runde rötliche Lehmhütten mit Palmwedeldächern, zwei wellblechgedeckte Häuser aus Ziegel: das Dorf des Buschdoktors. Nackte Kinder empfingen uns mit „öyibö, öyibö!“ , lachten uns mit offenen Mündern an und sangen den beliebten Reim: „Öyibö, öyibö, ifya eaten peppa
mo an mo, ya grow yella mo an mo.“ (Weiße, Weiße, wenn du noch mehr Pfeffer ißt, wirst du immer gelber.)
Eine ältere Frau trat auf John zu, und wir folgten ihr zu einer Hütte, die von einem Zaun aus geflochtenen Zweigen umgeben war.
Dahinter lag ein ziemlich großer Platz, ordentlich gefegt, auf dem Boden verstreut Zweige eines heiligen Baumes. Zwei große Opferschalen aus Ton, mit Blut verkrustet, Behälter, an denen mit Ketten und Lederriemen Tierschädel und Vorhängeschlösser oder Medizinfläschchen befestigt waren. Daneben verdreckte Ginflaschen und kleinere Trommeln. Die Frau des Medizinmannes ließ sich unsere herbeigeschleppten Waren geben, Stapel von Naira-Scheinen wechselten den Besitzer.
Wir wurden hereingebeten. Draußen blendete die Sonne, im Inneren der Hütte empfing uns Dunkelheit, nur durch einen schmalen Schacht im Dach drang etwas Licht. In der Luft hing der beißende Geruch von erloschener Glut. John und Moses legten sich bäuchlings mit dem Gesicht nach unten im Staub auf den Boden.
Auch ich sank nieder. Vorsichtig hob ich meinen Kopf, um unseren in Tierfelle gekleideten Gastgeber anzusehen. Der Mann war jünger, als ich erwartet hatte, vielleicht Ende Vierzig, und recht groß. Sein Gesicht mit dem scharf geschnittenen Mund und den durchdringenden Augen war von Narben gezeichnet.
Er sagte etwas auf yoruba, woraufhin John und Moses sich erhoben. „Du kannst aufstehen“, murmelte John. Wir durften uns ans hintere Ende der bunten Bastmatten setzen. John und der Priester sprachen, Moses und ich hörten zu. Ich verstand kein Wort.
Aber auch so war klar, daß es um mich ging. Inzwischen hatten sich meine Augen an die Dämmrigkeit gewöhnt, und ich konnte erkennen, daß die Hütte wesentlich größer war, als ich angenommen hatte, nur lagen die vier übrigen Räume im Dunkeln.
Von den herumstehenden rituellen Gegenständen wurde der profanste zuerst benutzt, eine Flasche Gin. Dreimal goß der
babalawo den Schnaps auf den Boden. Für die Ahnen, wie mir John flüsternd erklärte. Dann wurde
ein Feuer in einer Metallschale mit Räucherwerk entzündet, dessen Rauch nur widerwillig durch die Dachöffnung abzog. Ich hustete in der stickig-heißen Luft.
John hatte der Frau draußen schon viele Naira-Scheine gegeben, aber der babalawo wollte trotzdem, daß wir ihm noch einige Kobo-Münzen überließen, die wir mit dem Mund zu berühren hatten.
Kniend waren die Kobos auf den Boden zu babalawos Füßen abzulegen. Er plazierte seinen Wahrsagestab darauf, einen cremefarbenen Kuhschwanzwedel. Dem Kleingeld kam somit die mystische Bedeutung zu, während die Scheine, die die Alte uns abgenommen hatte, für den Alltag bestimmt waren. John hatte diesem babalawo - angeblich - nicht den Grund für unser Kommen gesagt. Als der babalawo Gesänge anstimmte, wisperte John mir zu, er rufe verschiedene Götter, seine orishas, an.
Was folgte, war die Wahrheitsfindung: Der babalawo befragte das Orakel. Vor sich hatte er eine kreisrunde, mit einem umlaufenden Band aus Schnitzerei verzierte, dunkle Holzscheibe stehen, das Orakelbrett opon, dessen Boden mit hellem Kaolin bedeckt war. In einer langen Prozedur warf er runde Palmnüsse von einer Hand in die andere. Mit einem geschnitzten, kurzen Stab malte er Striche in das Kaolin. Ich brauchte lange, bis ich das System durchblickte: Beim Wechsel von einer Hand in die andere fielen immer ein paar Nüsse zu Boden. Aber nur, wenn ihm eine oder zwei Nüsse entglitten,
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