Die weiße Hexe
Waren des täglichen Bedarfs: Macheten, Hüte, Petroleumlampen, Autoteile, Stoffe in großer, farbenfroher Auswahl, alte Plattenspieler oder Fahrräder. Im Schatten ihrer Verschläge standen
die Marktfrauen in bunten Wickelkleidern und Turbanen, den kunstvoll gewickelten. Sie schwatzen in ihren unterschiedlichen, melodiösen Sprachen und Dialekten mit kräftigen Stimmen. Alle laut, alle durcheinander.
Die Vielvölkernation Nigeria offenbart ihre Unterschiede am besten auf dem Markt, dem wahren Schmelztigel der Stämme. Denn natürlich ist schwarz nicht gleich schwarz, es gibt die unterschiedlichsten Tönungen. Die aparten Fulanis aus dem Norden haben die hellste Haut. Unterschiedlich auch die Kleidung: Moslemfrauen sind verhüllt, manche Männer in bodenlange Umhänge gewandet, andere geben sich westlich bis zur Krawatte.
Man entdeckt auch Albinos oder Schwarze, die an der Weißfleckenkrankheit leiden.
Gemeinsam scheint ihnen die Liebe zum Goldschmuck, der demonstrativ an Hand, Arm und Hals getragen wird. Wer Geld hat, zeigt es offen. Das mag auf uns protzig wirken; für Nigerianer ist erlangter Reichtum etwas, auf das man stolz ist. Leprakranke ohne Beine bewegen sich auf selbstgebastelten Skateboards durch die Massen. Pechschwarze Bettler flehen um Almosen. Andere schlafen neben den Menschenströmen, direkt vor einem lärmenden Miniradio. Je nach Marktecke umfängt einen ein anderer Geruch.
Manchmal auch der von Ausscheidungen - Toiletten gibt es nicht.
Die weiten Tücher der Damen verhüllen ja so dezent. Und was zurückbleibt, na ja, das bleibt eben.
Handel ist hier Frauensache. Aber er funktioniert so ganz anders als bei uns: Gewinn wird sofort in Ware reinvestiert, die sich berghoch stapelt. Kein Wunder - das Mißtrauen in die Banken ist groß. Und berechtigt. Die Mammis stehen ihre Frau jonglieren mit Krediten, kaufen ganze Lastwagen oder Busse, mit denen sie in ein zweites Geschäft einsteigen, den Transport von Mensch und Ware. Viele von ihnen packen das locker, obwohl sie weder schreiben noch lesen können.
Auf diesem bunten, lauten Markt begann ich, meinen
„Zwangsurlaub“ zum ersten Mal zu genießen. Gleich neben dem eigentlichen Markt entdeckte ich eine Halle mit noch mehr Ständen.
Mit einer Mischung aus Faszination und Ekel trat ich ein, argwöhnisch
beäugt von den Händlern. Ganz am Ende der Halle duckte sich ein Stand in die Ecke, der von einer mächtigen Plastikplane geschützt wurde. Eine Aura von Mystik und Magie nahm mich gefangen.
Rhoda wollte nicht stehenbleiben, denn hier, erklärte sie, würden die heiligen Männer einkaufen. Damit wollte sie mich wohl abschrecken. Sie erreichte das Gegenteil: Ich bin nun mal die Tochter einer mit Sauerkraut heilenden Deutschen ...
Das hier war der Supermarkt der babalawos. Ich erkannte die magischen jujus aus schwarzem Leder wieder. Aber es gab auch Skelette von Affen- und Hundeschädeln, Schlangenhäute, Haifischzähne, Knochen, Schüsseln voller Kauri-Schnecken, Ketten, Felle, Muscheln, Pulver und Kräuter.
Selbst ein pechschwarzer Händler mit narbiger Gesichtshaut, dessen eine Pupille schneeweiß war, während das andere Auge immer wieder gen Himmel rutschte, konnte mich nicht abschrecken.
Er wollte mir in schwer verständlichem Pidgin-Englisch meine Zukunft voraussagen. Zuviel für Rhoda - sie ging. Und bekam so nicht mit, daß er mich mit seinem verbliebenen Auge derart durchdringend ansah, daß es mir heiß und kalt den Rücken runterlief. Schmerzhafte Prüfungen, aber auch Erfüllung durch eine große Aufgabe, verstand ich. Ich solle doch einen seiner glücksbringenden Armreifen aus dem schwarzem Schwanzhaar eines Elefanten erstehen. Damit das mit der Erfüllung auch funktioniere.
Rhoda hatte geduldig gewartet. Sie warfeinen Blick auf meinen neuen Armreifen. Ich hatte das Ding eigentlich mehr als Schmuckstück erstanden, aber Rhoda sagte, daß er ein magischer Talisman sei, eben ein juju. Ich fragte sie, was sie von den jujus in Moses' Haus halte. Als Antwort erzählte sie, daß in manchen Gärten ein Reisigbesen in einen Baum gehängt wird. Ein Einbrecher wäre gezwungen, den Besen zu nehmen, um damit den Garten zu fegen.
Und zwar so lange, bis der Hausbesitzer heimkehrt, um die Polizei zu rufen. Ich unterdrückte ein ungläubiges Lachen. Später las ich einmal eine Zeitungsmeldung: Ein Einbrecher war, den Besen schwingend, in einem Geschäft aufgegriffen worden. Mancher Glaube versetzt Berge, ein anderer läßt Besen tanzen.
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