Die weiße Hexe
Eigentlich hatte ich sagen wollen, daß die Autos keine Angelegenheit von John und mir waren, sondern von meinem Vater und John. Und die beiden waren nachweislich nicht miteinander verheiratet. Folglich konnte die Theorie des Medizinmannes nicht ganz stimmen ...
Als Deutsche bin ich vielleicht etwas zu erdverbunden. Ein afrikanischer Mann wie John sieht Schulden ganz anders. Er läßt sich nicht von der Vergangenheit niederdrücken, sondern freut sich an der Gegenwart. So nutzte er das Tauffest zur Anbahnung neuer Geschäfte. Windige Geschäftsideen wie ich fand: Tipp-Ex-Verdünner, Toilettenpapiermaschinen, sogar Quecksilber zum Gelddrucken und für schwarze Magie wollten seine Bekannten über uns importieren. Auch Vorschläge, die mir ein paar Nummern zu groß vorkamen, wurden gemacht, wie der Import von Fotoentwicklungsmaschinen, Kupferkabeln oder ganzen Bäckereieinrichtungen. In ausgelassener Stimmung wollten manche Besucher gleich Anzahlungen leisten. Am Ende saß ich mit einem Stapel von Visitenkarten da; die meisten wirkten selbstgemacht und wiesen den Überbringer als President von irgendeiner Firma aus.
Aber John sprach von enormen Profiten - als hätte er die schon eingesackt.
„Ich habe mit Moses gesprochen. Er will uns begleiten“, meinte er spät in der Nacht.
„Zu dem Medizinmann, von dem ihr beiden gerade kommt? Was soll das bringen? Moses geht es doch nicht besser. Sieh ihn dir an!“
„Wir werden einen anderen babalawo aufsuchen. Er ist ein richtiger Weiser vom Stamm der Yoruba. Er wird uns helfen“, orakelte er.
Das Wort Yoruba machte mich neugierig. Von diesem Volk und seinen religiösen Riten hatte ich schon mystische Geschichten gehört. Ich drehte meinen juju-Reif und signalisierte schweigend mein Einverständnis.
Moses' alter, kleiner Lastwagen stand für die Reise zum babalawo
nicht zur Verfügung, die Angestellten brauchten ihn für den Gartenbau. Die Alternative hieß gelbes Mitsubishi-Sammeltaxi.
Während John mit dem Fahrer über den Preis feilschte, hockte der kranke Moses krampfgepeinigt auf dem Boden. In diesem Moment kam ein Auto vorbeigefahren, dessen Fahrer mir freundlich zuwinkte. Der Mann saß in einem Mercedes, der mir bekannt vorkam - es war einer von Vaters zwei Benzen. Der Fahrer war niemand anderes als MasterTomorrow, der es sich hinter hochgekurbelten Scheiben und bei eingeschalteter Klimaanlage gutgehen ließ. Auf dem Beifahrersitz thronte die junge Dame, deren sorgfältiger Nägelmaniküre ich vor einigen Tagen zugesehen hatte.
Nichts mit höherer Gerechtigkeit und einem armen Arbeiter, dem sie mein üppiges Bestechungsgeld zusteckte. Statt dessen der Hohn real existierender Ungerechtigkeiten.
Die vierstündige Fahrt mit laut plärrender Musik, die die Mitreisenden durch Konversation zu übertönen versuchten, war kurzweilig. Bislang hatte ich nur das Straßengewirr von Lagos zu sehen bekommen, ein landschaftfressendes Chaos. Zum ersten Mal sah ich jetzt die einmalige, üppige Natur Afrikas: riesige Regenwälder mit ungekannten Baumriesen, traumhafte Palmenhaine, durch die der Expressway schnurgerade hindurchführte. Irgendwo auf dem Highway, kurz nach Abeokuta auf dem Weg weiter nach Ibadan, ließ Moses, der neben dem Fahrer eingequetscht saß, den Minibus anhalten. Urwald links, Urwald rechts. Jetzt war laufen angesagt, um das Dorf im Wald zu erreichen.
Ich bin Städterin, und zwar durch und durch. Als Kind lebte ich mit meinen Eltern eine Zeitlang in einem Vorort von München. Das war für mich schon Landleben. Zur Schule mußte ich eine Dreiviertelstunde lang über Felder und Wiesen laufen oder später mit dem Fahrrad fahren. Ich haßte diesen Schulweg. Vor allem im kalten Winter. Natur war mir damals zuwider.
Ausgerechnet der Handel mit den Autos hatte mich jetzt in die afrikanische Natur und Wildnis verschlagen. Die mir vertraute Welt der Zivilisation war so weit weg wie der Mond von der Erde. Ich empfand meine Umgebung in diesem Augenblick zwar als recht malerisch, fühlte mich aber gleichzeitig deplaziert. Es war Trockenzeit und weit über 35 Grad warm. Die Sonne brannte von einem strahlendblauen Himmel. Ich zog mir meinen Strohhut tief ins Gesicht und stolperte in Sandalen über unbefestigten Lehmboden einen kleinen Trampelpfad entlang. In Lagos hatte ich meine weiße langärmlige Baumwollbluse und eine ebenso weiße Leinenhose angezogen. Sie blieben nicht lange weiß. Die Hose war bald staubbraun, die Bluse schweißdurchweicht. Meine Sandalen
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