Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die weiße Hexe

Titel: Die weiße Hexe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ilona Maria Hilliges
Vom Netzwerk:
Ilona, bereue!
    Ich sehe meine kleine Janet, wie sie vielleicht, zweijährig, um meine Beine krabbelt, die krausen Haare zu irrwitzigen Zöpfchen mit roten Schleifchen hochgebunden, als stünde sie unter Starkstrom.
    Da ist Bobby unter einem Busch, er macht sein Geschäft, es stinkt.

Ich tanze.
    Bereue, Ilona, bereue!
    Mit vorwurfsvollen Augen blickt mich mein Vater an. Er hat das von der Hitze zusammengeschrumpfte Filzhütchen auf dem Kopf. Er tut mir leid. Er wirkt so hilflos. Janet ruft: Mama, ich hab' Aua, mein Finger! Es ist nicht Janets Finger, der blutet. Es ist mein eigener.
    Tanze, Ilona, tanze. Bereue, Ilona, bereue.
    Aber Bobby hockt doch immer noch unter dem Busch. Ich muß ihm den Hintern abwischen. Er wird ja ganz dreckig im Matsch. Mein Geld, Ilona, bring mir mein Geld zurück. Denk doch an Mama. Sollen wir denn das Haus verkaufen? Ilona, Mann und Frau gehören zusammen! Du hast die Ahnen erzürnt.
    Bereue, Ilona, bereue!
    Ich liebe meine Familie! Janet, Bobby! Ich habe Janet auf dem Arm, ich tanze mit ihr um das Feuer. Da ist ja Bobby. Mein Gott, er kann trommeln. Natürlich, ich habe ihm doch in London eine Trommel gekauft. Gott, warum habe ich so wenig Zeit für die Kinder! Nein, es ist nicht Bobby. Er krabbelt ja aufs Feuer zu. Nimm ihn doch mal einer weg da. Mama!!!
    Tanze, Ilona! Bereue, Ilona!
    Ja! Verdammt! Ja!! Ich bereue!!
    Du mußt sagen: Ich bin Teil meiner Familie! Ich verspreche, meiner Familie zu gehören! Versprich es, Ilona.
    Ein Strahl Flüssigkeit trifft mich. Noch einer. Das Weiße im Auge des babalawo. Die Federn des Huhns sind rotgetränkt. Überall ist Blut. Ich sinke zu Boden.
    Ja! Ich bereue! Ich verspreche, meiner Familie zu gehören. Janet schreit „Mama!“ Bobby hebt den schlaffen Kopf des toten Huhns.
    Das Huhn schlägt mit den Flügeln.

Mir wird schwarz vor Augen.
    Mein Kopf schmerzte. Mein Rücken tat weh. Ich lag auf einer Matte am Boden. Eine Hütte. John war neben mir. „Gib mir bitte Wasser“, sagte ich. Ich schleppte mich hinaus in einen neuen Morgen.
    Schwarz lag die Asche des Feuers zwischen den Steinen, auf denen sich das vergossene Blut schwarzrot gefärbt hat. Die Kopfschmerzen waren weg, aber ich spürte meine Beine kaum, lief wie auf Watte. Ich sah entsetzlich aus, wie das Schlachtfeld der vergangenen Nacht. Was hatten sie mit mir gemacht? Keine Reinigung der Welt würde meine Bluse wieder sauberkriegen. Ich schlurfte in die Lehmhütte zurück. John schlief, ich rüttelte ihn.
    „Hilf mir bitte, mich zu waschen. Und dann laß uns gehen, bitte.“
    John schüttete eimerweise Wasser über mich. Der Mutterfluß hätte an diesem Morgen nicht genug Wasser geführt, um all den Speichel, den Schnaps, das Blut von mir runterzuwaschen. John gab mir ein langes afrikanisches Kleid, das ich überzog.
    Wir verabschiedeten uns vom babalawo. Seine tiefbraunen Augen sahen mich durchdringend an. Mit tiefer Stimme sagte er: „Du wirst etwas Besonderes. Aber du mußt deine Balance finden.“ Er sprach reines, glasklares Englisch. Er hatte mich ganz schön an der Nase herumgeführt.
    „Der babalawo ist ein weiser Mann“, hatte John gesagt. Er spuckte vielleicht ein bißchen viel durch die Gegend, dieser Weise. Und auch sonst waren seine Methoden recht eigenwillig. Aber angeblich haben kluge Leute nun mal gewisse Eigenarten.

DAS DORF DER WAHNSINNIGEN
    Also suchte ich meine Balance. Das war nicht einfach, mit meinen wackeligen Knien. Und dann diese feuchte Hitze! John lief viel zu schnell voraus. Moses hatte noch wesentlich größere Mühe als ich, ihm zu folgen. Schließlich sackte er in sich zusammen, lautlos, wie unter einer zu großen Last. Er war schweißüberströmt. Gemeinsam versuchten wir, ihn hochzubekommen, hakten ihn unter und schleiften ihn mehr, als daß er selbst lief. Wir verließen das schattenspendende Dach der Regenwald-Vegetation, waren der Hitze der Savanne ausgesetzt. Das Grün des noch nahen Waldes verschwamm wie in einem Zerrspiegel. Der nasse, ausgemergelte Körper von Moses lastete schwer an meiner Seite. Ein Loch, eine Unebenheit oder einfach meine Schwäche? Ein messerscharfer Stich im Knöchel - ich war umgeknickt. John war zu überrascht, um uns drei halten zu können. Die beiden Männer fielen auf mich drauf, ich knallte mit der Schläfe gegen irgend etwas. Sendepause.
    Ich habe es schon immer gehaßt, wenn man mir die Wangen tätschelt. Aber John tätschelte nicht nur, er klopfte dagegen, als wohnte ein böser afrikanischer Geist in mir.

Weitere Kostenlose Bücher