Die weiße Hexe
eine blaue Abgaswolke gehüllt, laut wie ein Hubschrauber im Tiefflug, brachte ich den Wagen zum Rollen. Auch die beiden anderen Wagen schoben und schleppten wir schließlich los.
Die ganze Aktion dauerte bis in den Nachmittag. Die Rush-hour hatte bereits eingesetzt, als wir endlich aus dem Hafen rauskamen.
Vor uns lag eine Fahrt quer durch Lagos. Im Stau. John fuhr voraus, dann ich, Nathan und Jojo. Nathan blinkte wie wild mit der Lichthupe. Irgendwas stimmte nicht. Reifen geplatzt. Wir wechselten mitten im Stau. Im Schneckentempo ging es weiter. Ich blickte auf den Temperaturmesser des Wasserkühlers. Alarm!
Endlich freie Fahrt, die Anzeige beruhigte sich. Vor lauter Streß war es mir nicht aufgefallen, aber als wir ungehindert rollten, bemerkte ich, daß Johns Peugeot Flüssigkeit verlor. Wenig später stieg aus dem Wagen vor mir schwarzer Rauch auf. Rechts vorn eine Tankstelle, John setzte den Blinker. Praktisch keiner der Wagen hatte mehr Sprit im Tank.
John fuhr den rauchenden Wagen direkt vor die Zapfsäule, wir drei anderen hinterher. Da rannten auch schon aufgeregt mit den Armen fuchtelnde Männer auf uns zu und schrien: „Go away! Go away!“
John hatte die Fahrertür geöffnet und die Motorhaube entriegelt und wollte gerade aussteigen. Mindestens zehn Männer stürzten auf ihn zu, einer drückte ihn in den Wagen zurück. Fluchend schoben sie ihn weg von der Tankstelle, hinüber zur Straße. In solchen Situationen ist überlegtes Handeln nicht meine Stärke: Ich erstarrte vor Schreck. Ich sah, wie alles, was Beine hatte, in Bewegung war, Wasser schleppte. Nach wenigen Minuten befand sich dort, wo Johns Peugeot stand, eine dicke weiße Wolke, aus der ein verrußter John hervortrat. Als sich der Qualm verzogen hatte, blickten wir in die Ruine eines Motorraums.
So zog mein hubschrauberlauter Mercedes den lahmgelegten Peugeot durch den Stau zu Marys car repair. Wie gebannt blickte ich auf die Temperaturanzeige und fragte mich, wann meinem Gefährt das gleiche Schicksal wie Johns Auto blühen würde. Aber der Benz hielt durch.
Marys vier Kunden machten lange Gesichter. Sie versprach ihnen wohl, daß die Wagen in Bälde wieder topfit seien. Ich hatte am Vortag gut aufgepaßt und wußte, welcher der Männer den Benz kaufen wollte. Während Mary mit den anderen zu tun hatte, nahm ich den Mann beiseite. „Sie haben Glück“, sagte ich, „Ihr Auto ist das beste von allen. Ich habe es selbst hergebracht. Es braucht nur einen neuen Auspuff. Den bekommen Sie leicht.“
„Ja“, sagte der Mann, „aber er hat keine Scheinwerfer, und die Scheibenwischer fehlen. Und wo sind die Rückspiegel?“
„Das sind doch Kleinigkeiten. Das Auto fährt. Sie werden stolz daraufsein.“
„Und der Lack? Das ist Rost.“
„Der Lack ist neu. Sie müssen nur etwas polieren.“
„Ich zahle Ihnen 5 000 Naira.“
10 000 Mark? Wir hatten mindestens 100 000 Mark Schulden! Der Benz war mit 12 000 Naira kalkuliert, also gut 24 000 Mark.
„Ich wollte Ihnen ein Geschäft vorschlagen“, sagte ich kühl. „Wir werden den Wagen reparieren, dann kriegen wir 12 000 Naira. So war es vereinbart.“ Ich wandte mich ab.
„Okay, okay.“ Der Mann hatte mich eingeholt. „7 500 Naira.“
„Das kann ich nicht machen. Mindestens 11 000 Naira.“
Mary und John redeten immer noch auf die anderen drei Kunden ein, die bei den Peugeots standen. Mein Ehrgeiz wuchs. Ich wollte endlich selbst Geld in die Finger kriegen. Es war doch schließlich in erster Linie Vaters Geld. Ich mußte es schaffen! Ich streckte dem Mann meine bleiche weiße Hand hin. „10 500. Bar und sofort.“
Er schlug ein. Mir fielen fast die Augen aus dem Kopf! Er gab mir 10
000 Naira. 500 habe er Mary angezahlt.
John und Mary hatten mit ihren anderen Kunden weniger Glück. Sie behaupteten, nur jeweils 3 000 Naira bekommen zu haben. Die noch ausstehenden 4 000 würden sie brauchen, um die drei anderen Autos aus dem Hafen heraus und wieder flottzubekommen.
Damit hatte ich ganze 38 000 von erwarteten 100 000 Mark. Und die auch nur theoretisch. Und falls man mich mit diesem Geld am Flughafen schnappen würde, stünde mir eine höchst unerfreuliche Laufbahn bevor: die einer Gefängnisinsassin.
„Ich kenne jemanden, der Geld wechselt“, sagte John. Er kannte ja immer jemanden. Diesmal war es eine Händlerin in Victoria Island.
Was eine erneute Fahrt quer durch Lagos bedeutete ... Dazwischen lag eine schlaflose Nacht neben John und Mary. Und ein bemerkenswerter
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