Die weiße Hexe
die einer von Master Tomorrows Hafenarbeitern sein ganzes Leben lang Säcke schleppen mußte.
Wir hasteten zum Airport zurück. Das Herz schlug mir bis zum Hals.
Wenn sie das Geld entdeckten, war alles umsonst. Ich umfaßte den Armreif aus Elefantenhaar, lächelte sanft, wünschte dem Zöllner einen guten Tag und sagte in mich hinein: Ilona, denk an das innere Gleichgewicht.
Ich schwöre: Ich war die einzige, deren Koffer nicht durchsucht wurde. Irgendwann mußte ja mal was klappen.
MEINE VERRÜCKTESTE ENTSCHEIDUNG
Die Geschäftsbilanz des Autohandels las sich schlecht. Für vierzig Prozent des Einsatzes hatte ich gerade mal 25 Prozent des eingesetzten Geldes rausbekommen: An der Uni hätte ich für dieses Resultat eine glatte Sechs kassiert... Die Stewardeß reichte mir gerade einen Tomatensaft, als mein Blick auf die Papiere auf dem Schoß meines Sitznachbarn fiel. Er rechnete, strich durch, begann von neuem.
„Sie haben den Verlustvortrag nicht berücksichtigt“, hörte ich mich sagen. Der Mann - ich hatte ihn als Person übrigens noch gar nicht wahrgenommen, sondern mich nur für seine Zahlenkolonnen interessiert - beugte sich unkompliziert zu mir herüber. Wir rechneten gemeinsam und kamen zu der Überzeugung, daß sich seine Investition durchaus rentieren würde.
„Um was geht's denn überhaupt?“ fragte ich im Plauderton.
„Bremsen“, antwortete er, „wir haben über die Errichtung einer Anlage in Lagos verhandelt.“
„Also, ich habe von Autos die Nase voll.“ Ich lachte.
„Machen Sie Export?“ wollte er wissen.
„Mit mäßigem Erfolg“, gab ich zu. „Ich habe ein paar afrikanische Eigenarten nicht mit einkalkuliert.“ Und dann sagte ich so ganz nebenbei - ich weiß wirklich nicht, warum - einen Satz, der in die Augen meines blassen blonden Sitznachbarn mit dem sandfarbenen Anzug ein Strahlen zauberte: „Ich bin mit einem Nigerianer verheiratet.“
Da reichte mir der Mann seine leicht feuchte Hand und stellte sich als Michael Bernhard vor, Finanzvorstand der Strengfurt AG.
„Haben Sie nicht Lust, bei uns im Management in Lagos mitzuarbeiten? Wir brauchen dringend einen neuen Controller. Am besten jemanden, der mit einem Nigerianer verheiratet ist, wegen der Ausländerquote. Noch besser eine Frau, die sich einmischt. Wie wär's?“
Ich verschluckte mich fast an meinem Tomatensaft.
„Wir machen Ihnen ein Angebot, das Sie nicht ausschlagen können“, sagte Bernhard in 10 000 Metern Höhe. „Haus, Auto, Chauffeur, Personal, Inlands- und Auslandsgehalt...“
Ich dachte an Jauchegräben, Lehmhütten mit Plumpsklos, korrupte Master Tomorrows, brütende Hitze.Tote auf den Straßen, schwarze Magie und schwarze Machos, die sich x-fach vermählten ...
„Wissen Sie was, Frau Wowo, Sie kommen nächste Woche einfach nach Köln! Meine Sekretärin wird Sie morgen früh anrufen und für Sie das Flugticket am Flughafen hinterlegen lassen“, sagte Bernhard ohne Umschweife. „Nach einem ausführlichen Gespräch können Sie immer noch nein sagen.“
Mir fielen meine Kinder ein, Janet und Bobby, meine Mutter, mein Vater. Bernhard lachte. „Ihr Haus im weißen Viertel ist riesig. Da könnten Sie sogar Ihre Eltern mitnehmen. Und es gibt eine sehr gute deutsche Schule. Das zahlen natürlich alles wir.“
Ich seufzte. „Ich muß es mir überlegen.“
In diesen Stunden bekam ich eine Ahnung davon, wie unkompliziert das Leben sein konnte. Es war möglich, neben jemandem im Flugzeug zu sitzen, der einem den Superjob zu Füßen legte. Ich brauchte dem Geld endlich mal nicht hinterherzurennen: Es kam zu mir. Der Elefantenreif, die „innere Balance“ oder schlicht die längst überfällige Portion Glück, die jedem zusteht?
Mit diesem Hochgefühl stieg ich in München aus dem Flugzeug. Um am Gepäckband brutal hart auf den Boden der Wirklichkeit zurückgestoßen zu werden - der Koffer war nicht angekommen.
Mein, vielmehr Papas, ganzes Geld! Ich rotierte. Sollte ich in der Verlustanzeige unter „Wertangabe“ 20 000 Mark in Nairas reinschreiben? Was hätte das genützt? Sie hafteten nur bis 1 000
Mark. „Die meisten Gepäckstücke tauchen noch auf, Frau Wowo.
Bei den Flügen aus Afrika haben wir öfter Probleme.“
Zu Hause fraßen mich Janet und Bobby fast auf. „Mama, was hast du uns mitgebracht?“ Liebe, kleine deutsche Welt, so aufgeräumt, so sauber. Und doch unter der heilen Oberfläche ein Riß: die Schulden, die Mahnschreiben der Bank, mein Vater unter der Last
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