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Die weiße Hexe

Titel: Die weiße Hexe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ilona Maria Hilliges
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hakte mich demonstrativ unter und sagte sehr aristokratisch: „Mister Nickel, nett, Sie wiederzusehen. Einen schönen Abend.“ Und führte mich fort.
    „Ilona, du zitterst ja.“
    „Das geht vorbei, Victor.“
    „Ich mochte diesen Mann schon nicht, als ich ihn in der Anwaltskanzlei kennengelernt habe“, sagte Victor leise, „nicht nur, daß er eine unsaubere Art hat, Geschäfte zu machen. Er erinnert mich an eine Schlange, die friedlich am Boden liegt und plötzlich zubeißt. Außerdem kann ich es nicht leiden, wenn mir ein Mann nicht in die Augen sieht.“ Ich hatte Victor selten so offen seine Meinung über einen Dritten sagen hören. Aber er setzte noch hinzu:
    „Eigentlich ist dieser Nickel kein Umgang. Verzeih, ich weiß, er ist dein Chef, und ich will dich nicht kränken. Aber weißt du, ich glaube, du solltest über etwas nachdenken, meine Liebe: Ich bin jetzt

    Vizepräsident einer nicht gerade kleinen Firma. Wir könnten jemanden wie dich in der Geschäftsleitung gebrauchen.“
    Ja, weshalb eigentlich nicht? Ich war doch nicht mit Strengfurt verheiratet, sondern ein freier Mensch und konnte kündigen. Weg von Nickel, den Victor durchschaut hatte. Nein. Karriere nicht übers Bett, maßregelte ich mich. Liebe und Job sind zwei verschiedene Paar Schuhe. Ich gab Victor schnell einen Kuß auf seine Prinzen-Wange: „Das ist lieb, Victor. Ich denke darüber nach.“ Mit seiner feinen Antenne für derartige Floskeln hakte er nicht mehr nach.
    Ein aufdringliches, lautes Lachen, das wie das Meckern einer Ziege klang, zog meine Aufmerksamkeit auf sich. Ein kleiner, gedrungener Mann von etwa fünfzig Jahren schob sich in Begleitung zweier großer Frauen in den Saal. Respektvoll machte man Platz für den in weite weiße Gewänder gekleideten Mann, der sich mit roten Korallenketten geschmückt hatte. Jede seiner runden Wangen zierten drei breite, von oben nach unten verlaufende Narben, sogenannte tribal marks. Während er zu seiner Begleitung mit breitem Lächeln sprach, führte seine mit schweren Ringen bestückte Hand spielerisch einen schwarzen Stock mit silbernem Knauf, um seinen Worten mehr Nachdruck zu verleihen. Eine seltsame Aura von Würde umgab ihn. Gleichzeitig ging von seiner schieren Körperlichkeit, mit der er sich durch den gut gefüllten Raum schob, eine animalische Brutalität und Direktheit aus, die ich so noch nie erlebt hatte. Seine Körpersprache sagte: Ich bin hier der Boß.
    „Wer ist das?“ flüsterte ich Victor zu.
    Aber er kam nicht dazu, mir eine Antwort zu geben. Der Mann mit dem Stock hielt direkt auf uns zu. „Ich dachte schon, das wäre eine Whites-only-Party. Aber wie ich sehe, hat wenigstens Bruder William seine Wurzeln nicht ganz vergessen“, sagte er mit einer unerwartet hohen Stimme, die eigentümlich gequetscht klang. Bei diesen Worten hob er seinen schwarzen Stock, faßte ihn in der Mitte und breitete beide Arme aus. Victors Vater erachtete die Situation für so wichtig, daß er mit fliegenden Gewändern zu uns eilte.
    Während die beiden Männer sich kurz umarmten, fiel mir der Knauf des Stocks ins Auge, in dessen poliertem Silber sich das Licht mehr-fach brach. Er bestand aus einem Katzenkopf, in dem zwei grüne Edelsteine funkelten. Ein faszinierendes Schmuckstück, aber gleichzeitig auch seltsam abstoßend. Mit einer eleganten Drehung führte Chief William den Mann mit dem Stock zu uns.
    „Sunny, ich gebe diese Party heute, damit mein Sohn Victor einige unserer Freunde kennenlernt. Darf ich dir Frau Wowo vorstellen?
    Victor hat Frau Wowo in London kennengelernt und hier wiedergetroffen. Durch reinen Zufall.“
    Ich werde nie vergessen, wie dieser Sunny mich von oben bis unten musterte, während er die Hand seines Neffen Victor hielt. Dann wechselte er blitzschnell den Stock mit dem Katzenkopf von links nach rechts und gab mir die linke Hand. Mein Vater hatte die gleiche Angewohnheit, mit links zu grüßen, fiel mir in diesem Augenblick ein. Er sagte, daß die Linke von Herzen komme. Also dachte ich mir in diesem Moment nichts. Ich lernte erst viel später, warum manche Nigerianer in bestimmten Situationen mit links grüßen -die linke ist die unreine Hand. Diese geheime Körpersprache kannte ich an jenem Abend nicht. Ich wunderte mich nur, als Sunny eine Augenbraue hob und während des Händeschüttelns fragte:
    „Glauben Sie an das Schicksal, Frau Wowo?“ Es lief mir eiskalt den Rücken hinunter. Die gleiche Formulierung hatte Victor gebraucht, während wir im

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