Die weiße Hexe
eintreffen. Er schwärmte schon Tage vorher von dem 100 000 Mark teuren Hengst. Stolz führte er mich in den klimatisierten Stall, in dem es die sündhaft teuren Pferde besser hatten als die Angestellten in den boys
quarters. Die Neuerwerbung war ein drahtiger schwarzer Hengst, nicht besonders groß. Wie die meisten Polo-Ponys hatte er ein Stockmaß von etwa einem Meter fünfzig. Der Hengst hieß Abraxas.
Ich hätte mich nie getraut, auf dieses hochgezüchtete Pferd aufzusteigen, das wie ein Vollblüter mit zu kurz geratenen Beinen wirkte. Abraxas war sehr lebhaft. Seine geballte Energie wurde dadurch unterstrichen, daß die Mähne abrasiert war - eine Vorsichtsmaßnahme, damit der Bambusschläger des Spielers sich nicht darin verfängt. Ein britischer Stallbursche namens Pete war der einzige, der sich um die Pflege von Abraxas kümmern durfte.
Für ein Polo-Pony, meinte Pete, sei Abraxas eigentlich etwas zu nervös. Pete schlief direkt neben dem Stall. Zur Sicherheit hatte Victor ihm einen Dobermann gegeben.
Glücklich und gelöst wie schon lange nicht mehr, fuhren wir die kurze Strecke zurück zu Victors Villa. Nur der neue Hengst hatte, davon war in Victors Polo-Team jeder überzeugt, zum Sieg über die starke Mannschaft aus dem Norden beigetragen. Am nächsten Morgen stand Victor sehr früh auf, um Termine außerhalb der Stadt wahrzunehmen. „Schlaf aus, Liebes“, sagte er zum Abschied.
Ich murmelte ein „Okay“ und drehte mich um, als ich ein atemloses
„Jesus Christus!“ aus Victors Mund hörte.
„Was ist?“
„Bleib im Bett!“ Victors Stimme klang unnatürlich schrill. So hatte ich ihn noch nie reden gehört.
Ich blieb nicht im Bett und sah, was passiert war: Vor der Schlafzimmertür lag einer von Victors Dobermännern. Man hatte dem kräftigen Tier die Kehle durchgeschnitten. Und zwar hier im Haus, direkt vor unserer Schlafzimmertür! Hier war der Hund verblutet. Alle meine nigerianischen Alpträume waren wieder erwacht. Das war eine Drohung!
Victor versuchte, sich seine Angst nicht anmerken zu lassen, als ich ihn wenig später im Arbeitszimmer perfekt wie immer angekleidet antraf.
„Hast du die Polizei gerufen?“
„Ilona, Liebes, wir beide kennen dieses Land gut genug, oder?“
„Was willst du tun?“
„Nichts. Weitermachen. Ich lasse mich nicht einschüchtern.“
„Wer steckt dahinter? Weißt du es?“
Er blieb die Antwort schuldig. Mittlerweile kamen viele Leute in Frage, denen Victor auf die Füße getreten war. Die Fässer von Calabar waren kein Einzelfall.
Nach dem Tod des Hundes ließ Victor die Wachen mit scharfen Waffen ausrüsten. Abiola brachte uns die inzwischen gut erzogenen Doggen Baatzi und Dolly zurück. Sie waren groß wie Kälber, was ihre Namen albern erscheinen ließ.
Ein paar Tage später fuhr Femi uns spätabends von einem Essen mit Geschäftspartnern zurück. Die Scheinwerfer des Jaguars erfaßten in der stockfinsteren Nacht direkt neben der Einfahrt ein Bündel, das aussah wie ein großer Sack.
„Femi, sagen Sie bitte den Wachen, man möchte das morgen wegräumen.“
„Ja, Sir.“ Femi lenkte den Wagen daran vorbei. Irgend etwas sagte mir, daß mit dem „Sack“ etwas nicht stimmte. „Femi, halten Sie mal.“ Ich ließ das Fenster hinunter. Das war kein Sack. Da lag ein Mensch neben der Einfahrt, regungslos. „Geben Sie mir mal Ihre Taschenlampe, Femi.“
„Nein, Ma'am, ich sehe lieber selber nach.“
Also stiegen wir alle drei aus. Der Mann, der dort lag, war tot. Femi drehte ihn auf den Rücken, und wir erkannten ihn: Es war Pete, Victors extra aus London eingeflogener, rothaariger Stallbursche.
Mit einem Messerstich in die Brust ermordet.
„Was kann Pete dafür? Was? Er hat doch nur mein Pferd versorgt!
Er war ein lieber, netter Kerl.“ Victor ging zurück zum Wagen, ließ sich in den Ledersitz fallen.
„Wer? Victor, sag es mir! Wer, glaubst du, hat das getan?“ bettelte ich um eine Erklärung.
„Ich werde mit Vater sprechen“, war seine ausweichende Antwort.
Ich verstand das damals noch nicht - diesen Zusammenhalt der Familien. Ich glaubte, ich gehörte bereits dazu, weil ich an Victors Seite lebte. Welch ein Irrtum! Die wirklich wichtigen Probleme ließ man nicht an mich heran.
Zwei Tage später stand in der Zeitung, der aus Wales stammende Stallbursche Pete Wyman sei Opfer eines Raubmordes geworden.
Kein Wort darüber, daß Pete für Victor gearbeitet hatte.
So westlich sich Victors Vater gab, so sehr war er auch in
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