Die weiße Hexe
seiner schwarzen Kultur noch verwurzelt. Er bat seinen Sohn, in die Nähe von Benin City, gut 300 Kilometer östlich von Lagos, zu fahren.
Dort, im Regenwald, sollte Victor den Medizinmann der Familie um Rat fragen.
„Es ist alles Unsinn, nicht wahr, Ilona?“ lachte Victor. „Und trotzdem fahren wir hin.“
Der Mann hatte ein Schild an der Haustür, das auf seine Tätigkeit hinwies: herbalist, Kräuterdoktor. Und er wollte mit Victor allein sein ... „Ich bin gleich zurück, Liebes.“
Drei Stunden vergingen, die ich dösend im Schatten eines großen Affenbrotbaums im Hof verbrachte. Endlich trat mein Prinz aus der Lehmhütte heraus. Er war verstört und wollte es sich nicht anmerken lassen. „Es war sehr interessant“, sagte er. Sein Oxford-Englisch wirkte hier so deplaziert wie sein grauer, zweireihiger, eingestaubter Armani-Anzug. Verschlossen wie eine der Austern, die er
so gern verspeiste, saß er im Range Rover, den er selbst lenkte.
Femi sollte nicht mitbekommen, daß er, der Prinz aus England, beim herhältst Rat suchte. Und sei es auch nur widerwillig.
„Er hat dir etwas gesagt, daß dir angst macht. Nicht wahr, Victor?“
Mit dieser Prognose konnte ich kaum schiefliegen - nach allem, was geschehen war.
„Ich glaube ihm nicht, Ilona. Voodoo-Kram!“ sagte er geringschätzig. „Der herbalist sagt, Schwarze Magie werde gegen mich eingesetzt. Lachhaft! Ist es Schwarze Magie, einem Hund die Kehle durchzuschneiden? Oder einen unschuldigen Burschen zu erstechen?“
Regenwald. Rechts und links. Endlos. Ein undurchdringliches grünes Gestrüpp.
Victor ignorierte die Warnung des Medizinmannes. Vor der Tür lag seit einiger Zeit eine Fußmatte. Sie überdeckte den dunkelbraunen Fleck, den das Blut des toten Hundes auf dem Parkett hinterlassen hatte. Gleich einem Mahnmal, das Victor vergessen wollte. Eines Morgens war diese Matte feucht. Mit nacktem Fuß hatte Victor sie kurz berührt. Er untersuchte die Ursache und fand zwei kleine Gefäße mit einer hellen Flüssigkeit, die eine dünne Kordel verband.
Die Schnur führte über die Matte und benetzte sie.
„Fassen Sie das nicht an, Sir“, sagte der vor Angst schlotternde Hausboy.
„Warum? Was ist das?“
„Es ist Gift, Sir!“
„Unsinn!“ Victor spülte die Flüssigkeit ins Klo und warf die Matte in den Müll. Aber Hände und Füße wusch er sich trotzdem ausgiebig.
Am Nachmittag fuhren wir zum Strand, machten einen langen Spaziergang. Ich hielt die Hand meines Prinzen. Während unserer Safari hatte Victor mich gefragt, ob ich ans Schicksal glaube. In den vergangenen Tagen war zu viel passiert, als daß ich noch an Zufälle glauben konnte. „Victor, damals, als Nickel mir nach dem Leben getrachtet hat, da wolltest du, daß ich aufhöre bei Strengfurt. Das sei es nicht wert, daß ich mich in Gefahr brächte. Ich bitte dich jetzt um dasselbe. Laß uns nach London oder Deutschland gehen.
Irgendwohin, wo wir sicher sind.“
Er schwieg und starrte aufs Meer. Dann schüttelte er langsam den Kopf. „An Neujahr hat meine Mutter gesagt, Afrika sei nicht mein Land. Sie hat es gesagt, weil sie mein Land nicht kennt. Sie hat es nie der Mühe für wert befunden, in das Land jenes Mannes zu reisen, den sie geheiratet hat. Es war ihr wohl zu ... weit weg. Sie hätte ja auch mich am liebsten vergessen. Ich liebe England, weil es ein freies und demokratisches Land ist. Und ich liebe Nigeria. Aber nicht aus rationalen Gründen. Das ist der Unterschied. Es ist das Land meines Vaters. Er glaubt an mich. Ich werde ihn nicht enttäuschen. Ich werde vorsichtiger sein, na gut. Aber davonlaufen? Nein, Ilona.“ „Versprichst du mir, daß du vorsichtiger sein wirst?“ Er nahm mich in die Arme. Die Wellen brandeten heftig an den Strand. Sowenig, wie ich die Wellen aufhalten konnte, konnte ich das Kommende aufhalten. Ich hatte zwar Victors Versprechen, aber wir beide wußten ja nicht, wovor wir uns schützen sollten. Oder vor wem. Wir hätten Nigeria verlassen sollen. Doch das wollte Victor nicht. Es war sein Schicksal ...
Das Rückspiel gegen das Polo-Team aus dem Norden stand an. Es sollte in Katsina stattfinden, an der Grenze zu Niger. Victor und sein Team waren schon Tage vorher mit den Pferden vorausgefahren, ich sollte hinterherfliegen. Die Nacht vor dem Abflug werde ich nie vergessen. Ich schlief unruhig, träumte wirres Zeug von einem Urzeitvogel, der Victor in den Klauen hielt und ihn mit dem starken Schlag seiner mächtigen Flügel davontrug. Ich
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