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Die weiße Hexe

Titel: Die weiße Hexe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ilona Maria Hilliges
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wahrscheinlich nicht so lange ausgesetzt wie bei dieser Frage. Ich liebte Victor auf eine andere Art, als ich John geliebt hatte. Inzwischen hatte ich gelernt, daß Liebe Verantwortung bedeutet, mit der man nicht spielt. Die Beziehung zu Victor war romantisch und exotisch, aber gleichzeitig war da von Anfang an so etwas wie eine Ernsthaftigkeit, ein tiefes inneres Verstehen. Ich konnte also unmöglich eine leichtfertige Antwort geben.
    „ChiefWilliam, ich bin noch nicht geschieden“, stotterte ich. „Der Mann, mit dem ich verheiratet bin, wehrt sich gegen die Scheidung.
    Sicherlich werde ich sie durchbekommen. Aber ich habe zwei Kinder, die in Deutschland leben.“
    William wurde etwas ungeduldig. „Das weiß ich doch alles, Ilona.
    Ich möchte wissen: Werden Sie Victor heiraten?“
    „Ich habe noch nie einen Mann wie Ihren Sohn getroffen, Sir.“ Ich atmete tief durch und dann sagte ich es. Und gestand es mir endlich selbst gegenüber ein: „Ja, ich liebe ihn. Sobald ich geschieden bin, werde ich ihn heiraten.“
    „Das ist gut. Möge Gott Ihre Wege segnen, meine Tochter.“
    Er blickte hinaus auf das weite Land unter uns. Nach einer Weile drehte er sich lächelnd um: „Bitte, sagen Sie nicht mehr „Sir“ und
    „Chief“ zu mir. Nennen Sie mich William. Außerdem waren Sie noch nicht in meinem Palast. Das sollten Sie möglichst bald nachholen.“
    Von William erfuhr ich, daß Katsina früher die Hochburg der polospielenden Elite des Landes war. Inzwischen genoß eine Stadt namens Sokoto, weiter westlich gelegen, einen besseren Ruf.
    Katsina ist islamisch geprägt und hat Moscheen. Die alte Stadt mit ihren vielen, vorwiegend aus Lehm gebauten Häusern, die von einer Stadtmauer umschlossen sind, wirkte auf mich märchenhaft entrückt, weit entfernt von allem Westlichen. Schon aus der Luft waren die vielen Kamele zu erkennen, mit denen vermummte Gestalten unterwegs waren. Nur das außerhalb gelegene, neue Stahlwerk machte eindrucksvoll deutlich, daß die Industrialisierung auch hierher schon vorgedrungen war. Während ChiefWilliam mit anderen, sich bedeutsam gebenden
    Männern sprach, suchte ich meinen Prinzen bei den Polo-Ponys, denen noch die Schwänze geflochten wurden.
    „Abraxas ist ungewöhnlich nervös. Wir überlegen, ob wir ihn überhaupt einsetzen sollen“, berichtete Victor.
    „Vielleicht ist ihm der Transport nicht bekommen.“
    „Ich glaube, er vermißt Pete. Wir haben zwar einen neuen Burschen, aber der kommt mit Abraxas lange nicht so gut zurecht.“
    Ich folgte dem Turnier mit angestrengtem Interesse. Ob da nun Punkte gemacht wurden oder warum - ich hätte es nicht erklären können. Durch den aufsteigenden Staub konnte ich manchmal kaum erkennen, wer den Holzball wohin schlug. Mein Augenmerk galt Victor, und ich versuchte immer wieder, ihn unter all den Reitern auf dem Spielfeld auszumachen, das einen Viertelkilometer lang war. Vor allem, als er im zweiten Durchgang, Chukka genannt, Abraxas einsetzte. War das edle Tier vor dem Spiel unruhig gewesen, so schien es Victors Befehlen jetzt problemlos zu folgen.
    Ich stand unter einem Sonnenschirm neben einer großen Frau vom Typ Mammi und ihrem schmächtigen Mann, der mit einem Fernglas den Spielverlauf sachkundig verfolgte, im Gegensatz zu seiner Frau, die unentwegt redete. Ich versuchte wieder, Victor auf dem Spielfeld ausfindig zu machen, der in dem Pulk der acht berittenen Spieler steckte. Das Knäuel löste sich, eine Gruppe sprengte dem Ball hinterher. Da, das war er! Abraxas setzte sich im gestreckten Galopp von den anderen ab. Victor stand auf den Zehenspitzen in den Steigbügeln, den Körper nach vorn gebeugt, den Schläger in der rechten Hand.
    In diesem Augenblick bemerkte ich den Vogel, der so groß wie eine Krähe sein mochte: Mit schnellem Flügelschlag sauste er dicht über dem Spielfeld dahin. Er schien Victor und seinem Pferd zu folgen.
    Hatten die Reiter eine Maus aufgescheucht, die dieser Vogel schlagen wollte? schoß es mir durch den Kopf.
    In diesem Moment lehnte Victor sich weit aus dem Sattel und holte mit dem Schläger Schwung. Aus den Augenwinkeln sah ich, wie die Frau neben mir die Hände entsetzt vor den Mund schlug und hörbar die Luft einsog. Sekundenbruchteile nachdem Victor mit dem Schläger den kleinen Weidenholzball zurückgeschlagen hatte, erreichte der Vogel Abraxas, der im Begriff war, abzustoppen und zu drehen. Der Vogel stürzte sich auf den Kopf von Victors Pony, hockte dort für die Länge eines

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