Die weiße Hexe
beteiligen. Ich fand lediglich, daß Victors Auftritt unnötig brüsk gewesen war. Eine Stunde lang dem Ziegenopfer beizuwohnen, hätte unseren Zeitplan nicht erheblich durcheinandergebracht. Zumal wir nachher ohnehin anderthalb Stunden auf die Fähre nach Calabar warten mußten.
Über die schwarze Kerze erfuhr ich, daß sie entzündet wurde, um jemanden mit einem Fluch zu belegen.
Erst Wochen später gelang es Victors Firma, ein Spezial-Unternehmen zu finden, das sich mit einem entsprechenden Schiff in die Sümpfe wagte. Als die Giftfuhre schließlich in dem Hafen ankam, den ich von Johns Rostautos kannte, war die Überraschung groß.
Ein Hafenarbeiter erzählte einem von Victors Männern, daß die Fässer im selben Hafen umgeladen worden seien - auf ein Schiff, das einer Reederei von Onkel Sunny gehöre. Die trickreichen Spiele des Leoparden liebenden Onkels.
Sunny spielte mit dem Tod: In den Fässern war mit Dioxin verseuchter Schlamm. Der Onkel zeigte sich tief betroffen über die Schlamperei seiner Angestellten. So stand es jedenfalls in der Zeitung. Familienintern lief die Angelegenheit anders ab. Chief William besuchte Victor und unterhielt sich lange unter vier Augen mit ihm. Hinterher war Victor sehr schweigsam, aber es war deutlich, daß er vom Clanchef einen Rüffel bekommen hatte. Nach der Entdeckung der Fässer hätte Victor die Familie verständigen sollen und nicht die Regierung.
„Und woher sollte ich wissen, daß der Dreck von Sunny stammte?“
fragte Victor mit unterdrücktem Ärger. Er hatte zwar geahnt, daß Sunnys Geschäfte nicht sauber waren. Den Onkel aber vor aller Augen zu überführen, das hatte eine andere Qualität. Victors erster großer Erfolg war gleichzeitig seine erste Niederlage geworden.
Weihnachten 1982 stand kurz bevor. Ich wollte zu meinen Kindern nach Deutschland, Victor nach London, wo wir dann gemeinsam Silvester feiern würden. Femi brachte uns zum Flughafen. Er reichte uns eine Tageszeitung nach hinten. „Haben Sie es schon gelesen, Ma'am?“
In dicken Lettern stand auf der Titelseite: „Deutscher Geschäftsmann in seinem Büro erschossen“. Ein Schwarzweißfoto von einem Mann am Boden, in seinem eigenen Blut liegend. Hastig überflog ich den Text. Klaus Nickel war von hinten von mehreren Kugeln getroffen worden, als er vor seinem Tresor stand. Der Täter mußte Nickel gekannt und ihn gebeten haben, etwas aus dem gut bewachten Tresor zu holen, in dem alle Firmenunterlagen und große Geldsummen verwahrt wurden. „Menschen wie Nickel stürzen über ihre eigenen Machenschaften“, hatte Bernd einmal zu mir gesagt.
Ich reichte die Zeitung an Victor weiter, der den Text gründlicher las. „Du hast nicht zu Ende gelesen, Ilona. Hier steht, daß auch Nickels Oberbuchhalter ermordet wurde. Ein Lion Okoro. Er ist schon vorzweiTagen auf der Straße erstochen worden.“ Pause.
„Was ist das bloß für ein Land!“
Sicher: Die beiden Toten hatten mir ganz schön zugesetzt. Mit einem weniger wachsamen Schutzengel an meiner Seite hätte ich die Heimfahrt von Okoros Fest vielleicht nicht überlebt. Aber der Tod der beiden war unnötig: Mit einem Prozeß hätte man viel mehr erreicht. Aber das lag wohl in niemandes Interesse. Strengfurt schloß ich bei diesem Gedanken durchaus mit ein. Nickel war kinderlos geblieben, aber Okoro hatte drei kleine Kinder. Was konnten sie für das skrupellose Vorgehen ihres Vaters?
Am Neujahrstag hatte ich das seltene Vergnügen, eine Dame aus dem britischen Hochadel kennenzulernen - Victors Mutter. Sie war sicher älter als Mitte Fünfzig, aber ihre Haut war faltenfrei. Als wäre sie gebügelt wie alles in ihrem Haus. Haus? Es war ein türmchen-verziertes Schloß mit eigenem Stadtpark vor den Toren Londons.
Alles sah so aus, als wäre Victor der einzige Mensch dunklerer Hautfarbe, der jemals den Haupteingang benutzen durfte.
„Wie lange hast du deine Mutter nicht gesehen, Victor“, hatte ich vorher gefragt.
Er überlegte eine Weile. „Vier Jahre? Nein, fünf.“
Zur Begrüßung hielt sie ihrem Sohn die Hand hin - für einen Handkuß. Keine Umarmung. Und so verlief auch die Konversationen der eigentlich nur eines bemerkenswert war, nämlich der Kommentar: „Victor, du solltest nicht in Afrika bleiben.
Das ist nicht dein Land.“
Victor widersprach nicht, nahm es nur schweigend zur Kenntnis.
DER ANGRIFF DES FALKEN
Ein paar Tage nach Silvester waren wir wieder in Lagos. Endlich sollte Victors neues Pferd aus Argentinien
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