Die weiße Mafia: Wie Ärzte und die Pharmaindustrie unsere Gesundheit aufs Spiel setzen (German Edition)
Transparenz. In jeder Studie erklären die Wissenschaftler ihren conflict of interest . Ihren Interessenkonflikt. Das ist Standard. Sie führen die Firmen auf – meist Pharmahersteller –, von denen sie finanzielle Zuwendungen bekommen. Für Arzneimittelstudien oder »Beratertätigkeiten«. Die Angabe des Interessenkonflikts erfolgt aus gutem Grund. Diese finanziellen Zuwendungen gefährden die Objektivität. Keiner beißt gern die Hand, die ihn füttert. In Deutschland – wie gesagt – müssen selbst die Autoren der machtvollen Leitlinien diesen Interessenkonflikt nicht darlegen. Ein Unding!
Ein spektakulär entlarvender Vorfall zum Thema Interessenkonflikte von Leitlinienautoren ereignete sich im November 2009. Ein Vorfall, der zeigt, wie frech die Öffentlichkeit von Leitlinienautoren bezüglich ihrer Kontakte zur Industrie belogen wird. Es handelt sich um die Veröffentlichung der S3-Leitlinie Demenzen . 18 Nicht weniger als elf medizinische Fachgesellschaften waren an der Ausarbeitung dieser Leitlinie beteiligt. Federführend waren zwei Fachgesellschaften: die Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde (DGPPN) und die Deutsche Gesellschaft für Neurologie (DGN). Warum das große Interesse so vieler Fachgesellschaften? Ganz einfach: Demenz ist einer der großen Zukunftsmärkte. In einer alternden Gesellschaft vergrößert sich dieses Anwendungsgebiet für teure Pharmazeutika beständig. Da macht es Sinn, die Verhältnisse auf dem Markt zu definieren. Das ist Leitlinienangelegenheit.
Leitlinienautoren lügen beim Interessenkonflikt
Ab Seite 112 der Demenzleitlinie steht eine lange Liste mit den Angaben der Leitlinienautoren zu ihren Interessenkonflikten. Es waren insgesamt 68 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die sich hier allesamt als unverdächtig vorstellten. Alle 68 Autoren geben an, dass sie keine Interessenkonflikte hätten. Im Klartext, dass keine finanziellen Verbindungen zu den Herstellern der Produkte bestünden, um deren Bewertung es in der Demenzleitlinie unter anderem ging. In einem Insider-Blog im Internet findet sich dazu folgender Kommentar: »Potzblitz! Ein ganzer Bus voller Demenzexperten ohne Verbindungen zur Pharmaindustrie! Wäre in diesem Moment ein Schwarm von 68 blau-rosa karierten Elefanten in V-Formation am Himmel vorbeigezogen, ich hätte ihn mit weniger Verwunderung zur Kenntnis genommen.« 19
Der Blogger erklärt, dass er sich drei Suchmaschinenanfragen pro Namen gegönnt habe. Und mit dieser flüchtigen Recherche 28 der 68 Leitlinienautoren mit zum Teil intensiven Kontakten zu den einschlägigen Pharmafirmen gefunden hat. Ein Blick auf die neurologischen Kongresse reicht, um die Namen dieser Mediziner auf Rednerlisten der von den Herstellern gesponserten Kongresse und Satellitensymposien zu finden. Im Blog heißt es unter dem Datum 2010–10–19 beispielsweise – und jeder kann diese Angaben selbst im Internet verifizieren: »Sehr informative Satellitensymposien auf der Neurowoche, in der Tat. Da treffen wir Herrn Deuschl, den Sprecher der Steuerungsgruppe der S3-Leitlinien ›Demenzen‹ höchst selbst, als Vorsitzenden einer Veranstaltung von Eisai/Pfizer und einer von Teva/Lundbeck: Man war wohl nicht unzufrieden mit den Leitlinien. Dodel ist dieses Mal nicht nur für Merz unterwegs, sondern daneben auch noch für Eisai/Pfizer, Riepe bleibt Eisai/Pfizer treu, Schulz trifft man wieder bei Merz. Und Diener macht seinem Namen alle Ehre und ist wie immer schwer im Geschäft (Allergan, Bayer, Boehringer Ingelheim, ev3). Um nur einige zu nennen.«
Fast die Hälfte der Wissenschaftler hatte bei den Angaben zu ihren Interessenkonflikten offensichtlich gelogen. Hatten von einem oder von mehreren Herstellern der Produkte, um die es in den Leitlinien geht, finanzielle Zuwendungen erhalten. Bei diesen Zuwendungen geht es nicht nur um Geld. Es geht auch um Renommee, um Auftritte bei Kongressen. Ich vermute, diese Wissenschaftler wollen weder auf das eine noch auf das andere in Zukunft verzichten. Es liegt deshalb der Verdacht nahe, dass sie Leitlinien so formulieren, dass es ihre Beziehungen zur Industrie nicht belastet. Unabhängigkeit sieht anders aus.
Dieser Interessenkonflikt, die Verflechtung der »Experten« mit der Industrie, ist eher die Regel als die Ausnahme. Gestützt wird diese Einschätzung durch die Tatsache, dass natürlich die »qualifiziertesten Fachleute« für die Formulierungen der Leitlinien engagiert werden. Aber wer sind
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