Die weiße Mafia: Wie Ärzte und die Pharmaindustrie unsere Gesundheit aufs Spiel setzen (German Edition)
damit wären wir beim zweiten Strukturproblem der Medizinischen Fachgesellschaften.
Die enge Verflechtung mit der Industrie
Für einen Beitrag über geschönte Arzneimittelstudien besuchte ich vor vielen Jahren, als ich mich noch nicht so intensiv mit der kritischen Medizinberichterstattung beschäftigt hatte, den Pharmakologen Prof. S. Herr Prof. S. ist ein gefragter Mann auf seinem Gebiet. Er lehrt Pharmakologie, erstellt pharmakologische Gutachten für eine große Klinikkette und ist heute ordentliches Mitglied der Arzneimittelkommission der Deutschen Ärzteschaft.
Als ich in sein Büro komme, macht er einen sehr dezenten, defensiven Eindruck auf mich und ich frage mich, ob er tatsächlich bereit sein wird, vor der Kamera Klartext zu sprechen, wie er es am Telefon getan hat. Als wir auf die Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften zu sprechen kommen, überrascht er mich mit einer ausgesprochen pointierten Stellungnahme: »Die Medizinischen Fachgesellschaften können Sie vergessen. Die sitzen doch alle bei der Industrie auf dem Schoß.«
Die obersten Hüter der medizinischen Wahrheit im Klüngel mit den Herstellern der entsprechenden Produkte – wenn das so wäre, wäre es fatal. Schließlich lässt sich nirgendwo so effektiv das medizinische Programm eines ganzen Landes manipulieren wie dort. Nur wenige Mediziner, nämlich die, die eine Leitlinie formulieren, müssen hier von der Industrie für die »richtigen Studien« begeistert werden, um den großen Coup zu landen und das fachmedizinische Treiben »von oben her« auf die gewünschte Linie zu bringen. Die Gefahr der Manipulation ist in der wissenschaftlichen Szene allbekannt und ist immer wieder Gegenstand heftiger Diskussionen und Forderungen. So heißt es im Forum Gesundheitspolitik, einer Initiative von unabhängigen, gesundheitspolitisch engagierten Wissenschaftlern: 15 »Am Verfassen von Leitlinien sollten nur Personen beteiligt sein, die keinerlei Verbindung zur Industrie haben. […] Dem Argument, die höchst qualifizierten Experten eines Bereiches würden dadurch von der Leitlinienerstellung ausgeschlossen, entgegnen die Autoren: Die als am höchsten qualifiziert geltenden Wissenschaftler seien häufig lediglich die in der Öffentlichkeit sichtbarsten; zudem dürften auch diese Wissenschaftler Stellungnahmen zu Entwürfen abgeben. Entscheidend sei, dass die Verfasser einer Leitlinie unabhängig sind.« 16
Doch das Gegenteil ist in der Regel der Fall. Das fängt schon auf der Ebene der Organisation der Fachgesellschaften an. Sie werden großteils von der Industrie finanziert. Ganz öffentlich finden Sie beispielsweise auf der Website der Deutschen Hochdruckliga eine Liste von 25 Unternehmen, 17 die diese Wissenschaftliche Medizinische Fachgesellschaft fördern. Natürlich alle aus der einschlägigen Industrie: Oben auf der Liste findet sich der Pharmariese Astra Zeneca. Kein Wunder: Blutdrucksenker stehen im Ranking der umsatzstärksten Pharmazeutika auf Platz zwei. Teil der Liste der Förderer ist auch der Gerätehersteller Omron. Dazu ist es interessant zu wissen, dass diese Medizinische Fachgesellschaft das »Prüfsiegel der Deutschen Hochdruckliga« vergibt. Für Blutdruckmessgeräte. Omron stellt Blutdruckmessgeräte her. Ebenfalls erwähnt wird der Nahrungsmittelmulti Unilever. Mit Functional-Food-Marken wie Becel oder Du darfst hat das Unternehmen Produkte im Wettbewerb, die mit dem Themenfeld Bluthochdruck, Blutfette, Übergewicht (Metabolisches Syndrom) in Verbindung gebracht werden. Das zielt in die Kernkompetenz der Deutschen Hochdruckliga. Die Produkte der Förderer sind Gegenstand der Empfehlungen, die die Hochdruckliga in ihren Leitlinien abgibt. Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht. Kennen Sie sonst noch einen Wettbewerb, in dem die Jury öffentlich erkennbar von den Teilnehmern des Wettbewerbs finanziert wird? In meinen Augen ist das eine Farce.
Fachgesellschaften von der Industrie finanziert
Was sich auf der Ebene der Fachgesellschaften abspielt, ist dabei nur ein Spiegelbild der Situation aufseiten der Wissenschaft. Genauer aufseiten der Wissenschaftler, die die Leitlinien formulieren. Das ist nur etwas schwerer zu durchschauen. Während die Fachgesellschaften ihre Sponsoren angeben, ist es in der deutschen Medizin immer noch nicht üblich, dass die Autoren der Leitlinien die Firmen nennen, für die sie (neben ihrer Forschungstätigkeit) arbeiten. Im angloamerikanischen Raum herrscht hier längst eine größere
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