Die weiße Mafia: Wie Ärzte und die Pharmaindustrie unsere Gesundheit aufs Spiel setzen (German Edition)
diese »qualifiziertesten Fachleute«? In der Stellungnahme des »Forum Gesundheitspolitik« heißt es dazu treffend: Es »seien häufig lediglich die in der Öffentlichkeit sichtbarsten«. Und wer erreicht diese Sichtbarkeit? Professoren, die Fachvorträge auf großen Kongressen halten. Auf Kongressen, die von den Herstellerfirmen finanziert werden. Und diese Firmen – da können Sie sicher sein – kümmern sich darum, dass auf diesen Kongressen die »richtigen Fachleute« Vorträge mit den »richtigen Inhalten« zum Besten geben. Sichtbarkeit erreichen auch Professoren, die große Drittmittelprojekte durchführen. Also Studien für die Hersteller. Jede Uniklinik wird diese Professoren fördern, sie zu Leitern von Forschungszentren machen. Denn die schaffen Kohle ran. Sie merken: Hier schließt sich der Kreis. Die Wissenschaftler, die mit der Industrie »gut können«, erlangen Renommee. Diese renommierten Wissenschaftler dürfen dann die Leitlinien schreiben, die darüber entscheiden, ob die Industrieprodukte als fachgerechter Standard definiert oder ausgemustert werden. Würden Sie sagen, dass das eine Struktur ist, die für objektive, evidenzbasierte Leitlinien bürgt?
Der innere Kern der weißen Mafia
Natürlich ist das Gegenteil der Fall. Diese tiefe Verflechtung der medizinischen Selbstverwaltung mit den Herstellerfirmen – vor allem mit der pharmazeutischen Industrie – stellt den Kern der weißen Mafia dar. Sie korrumpiert unser Gesundheitssystem in seinen innersten Strukturen. Sie sorgt dafür, dass die Interessen der Industrie maßgeblich in die Formulierungen der Leitlinien einfließen. Sie sorgt dafür, dass Gefahren verharmlost und der Nutzen von Behandlungen übertrieben dargestellt werden. Diese Verflechtung ist mit dafür verantwortlich, dass unsinnige Medikamente und unsinnige medizinische Interventionen weiterhin angewandt werden, auch wenn Studien die Nutzlosigkeit oder Gefährlichkeit dieser Behandlungen nachgewiesen haben. Der gesundheitliche Schaden, der hier entsteht, ist kaum zu überblicken, und die Fehlsteuerung der finanziellen Ressourcen in unserem Gesundheitssystem durch diese mafiöse Struktur ist katastrophal.
In Deutschland bleiben diese Verbindungen intransparent. In den USA nicht. Dort gibt es eine aktuelle Untersuchung, aus der beispielsweise hervorgeht, dass mehr als die Hälfte der Autoren von kardiologischen Leitlinien finanzielle Beziehungen zu den Herstellern haben. Zum Teil halten sie sogar Aktien von den Unternehmen, deren Produkte sie in ihren Leitlinien bewerteten. 20 Es gibt keinen Grund anzunehmen, dass es in Deutschland anders ist. Es gehört zu den vielen bitteren Folgen des intransparenten Gesundheitssystems unseres Landes, dass solche mafiösen Strukturen begünstigt werden. Die Verflechtung der maßgeblichen Mediziner ihrer Disziplin mit der Industrie dürfen bei uns im Dunkeln bleiben.
Und damit kommen wir zum dritten gravierenden Strukturproblem der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften.
Die eminenzbasierte Medizin
Die medizinischen Fachgesellschaften werden von Persönlichkeiten geprägt. Von Eminenzen. Herr Professor Sowieso zum Beispiel ist schon seit 15 Jahren in seiner Szene eine Eminenz. Auf seiner Homepage steht eine Liste mit Preisen und Auszeichnungen, deren Länge schwer beeindruckt. Er hatte jahrelang eine Gastprofessur in Harvard inne. Keine Frage, er ist ja auch ein brillanter Redner. Er berät die Bundesregierung, hat große Studien für die Industrie geleitet. Sitzt außerdem in dem und dem Beratergremium, er ist Herausgeber … Lassen wir es gut damit sein. Er ist wirklich ein tüchtiger Mann. Nein, eines noch: Er gehört in Deutschland zu den großen Befürwortern der Nahrungsergänzung mit Vitaminen. Das ist ganz sein Ding. Das hat er auf Tagungen und Kongressen immer wieder vertreten. Hat Powerpoint-Präsentationen mit beeindruckenden Ergebnissen einzelner Studien präsentiert. Hat »beste Verbindungen« zu den Herstellern der Präparate, die ihn als Berater immer gerne heranziehen und großzügig honorieren.
Nun kommt eine unabhängige Forschergruppe, die sich auf Metaanalysen spezialisiert hat, also auf die kritische Auswertung und Zusammenfassung von Einzelstudien, zu dem Schluss, dass zusätzlich zur Nahrung zugeführte Vitamine tendenziell eher schädlich sind. Und dass entsprechende Nahrungsergänzungsmittel das Risiko zu versterben erhöhen (siehe Kapitel 3, Abschnitt »Die Vitaminfalle«).
Unser fiktiver Professor
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