Die weiße Mafia: Wie Ärzte und die Pharmaindustrie unsere Gesundheit aufs Spiel setzen (German Edition)
Arbeitsgebiet ihres Themas bekannte Wissenschaftler einladen. Zehn Kosensusfragen, die sie mitbestimmen können, werden gestellt und eine Konsensusantwort, d.h. eine von allen Teilnehmenden Wissenschaftlern getragene und gegengezeichnete Antwort, zu jeder Frage ausgearbeitet.
Nach Vorliegen der Antworten wird das Ergebnis des Konsensusgesprächs veröffentlicht und kann von Interessenten als neutrale, unbeeinflußte und wissenschaftlich abgesicherte Meinung zum Thema verwendet werden.«
Es folgen Themenbeispiele und Hinweise auf entsprechende Veröffentlichungen:
»Antioxidantien veröffentlicht im Eur. J. Clin. Nutr., Dt. Ärzteblatt Mai 1995
Spurenelemente (Selen) Akt. Ernährungsmedizin 1997
Vitamin C, Glutamat Akt. Ernährungsmedizin 1997
Vitamin E und Rheuma Sommer 1997
Calcium Frühjahr 1997«
Finden Sie das Wort »Konsensusgespräch« nicht auch merkwürdig? Ein Konsens ist eine Übereinstimmung. Aber woher soll ich im Vorhinein wissen, ob die zehn »neutrale(n) und auf dem Arbeitsgebiet ihres Themas bekannte(n) Wissenschaftler« am Ende zu einer übereinstimmenden Meinung gelangen, die dem Auftraggeber der Veranstaltung – den Herstellern der Produkte, um die es geht – auch schmeckt? Das Ganze riecht für mich verdächtig nach PR. Und der Verdacht bestätigt sich. Ich finde einen Artikel in der Stuttgarter Zeitung , in dem sich die Frau von Professor Biesalski, über deren Firma die Hohenheimer Konsensusgespräche finanziell abgewickelt wurden, etwas unvorsichtig äußerte: Hier gab die Gattin von Prof. Biesalski an, dass sie dafür sorge, »dass die behandelten Themen ›mediengerecht‹ weiterverarbeitet würden, damit sie in Werbeaktivitäten integriert werden können«. 36
Wissenschaft für Werbeaktivitäten
Klingt doch nicht unbedingt so, als ob die Veranstaltungen der Wahrheitsfindung dienen sollten, oder? Entsprechend wurden die »Hohenheimer Konsensusgespräche« auch gestoppt, nachdem es eine Anfrage im Baden-Württembergischen Landtag gegeben hatte, in der der Verdacht geäußert wurde, dass es sich bei den Hohenheimer Konsensusgesprächen um eine »Werbeveranstaltung für die Industrie« handeln könnte.
Diese und weitere Details zum guten Kontakt des Hohenheimer Professors zur Nahrungsergänzungsmittelindustrie allgemein und zu den Vitaminherstellern im Besonderen habe ich in der TV-Doku Die Vitaminfalle zusammengetragen. Bevor wir sehen, was sich nach der Ausstrahlung der Dokumentation an der PR-Front in Sachen »schädliche Vitamine« tat, erlauben Sie mir einen Exkurs.
Sie können sich vielleicht vorstellen, dass mir bei der Produktion mehr als einmal »mulmig« war. Immer wenn man sich als Journalist mit der Industrie oder mit Personen »anlegt« und dabei Namen nennt, muss man sehr vorsichtig sein. Zwar durchlaufen solche investigativen Produkte bei uns im Haus eine juristische Abnahme. Im Medienrecht erfahrene Juristen besprechen mit uns Autoren: Was darf ich sagen? Was kann ich belegen? Was ist lediglich eine Behauptung, die ich nicht beweisen kann? Wo könnten die im Beitrag angegriffenen Personen/Firmen juristisch eingreifen, einstweilige Verfügungen oder Unterlassungsklagen gegen die Ausstrahlung anstreben? Oder gar Schadensersatz fordern? Was bei der Rufschädigung für ein Produkt schnell sehr teuer werden kann. Entsprechend wird an Formulierungen gefeilt, wo nötig abgemildert oder sogar aussortiert. Mit dieser Prozedur im Justiziariat bin ich als Autor erst mal »aus dem Schneider«. Der Sender würde die Verantwortung und eventuelle Gerichtskosten übernehmen. Sofern ich nicht doch grob fahrlässig oder in täuschender Absicht gehandelt habe.
Ähnliche Bedenken hatte ich auch, als ich mich entschloss, Kritik am Internet-Gesundheitsportal lifeline mit in die Vitamin-Doku einzubeziehen. Denn hinter lifeline steht eine Agentur mit dem zunächst kryptischen Kürzel BSMO. Einige Klicks tief in die Innereien des Webauftritts verraten mir: BSMO steht für Bertelsmann Springer Medizin-Online. Das sind wahrlich Schwergewichte der publizistischen Szene. Aber das Portal, das sich als unabhängiges und seriöses Gesundheitsportal gibt, lieferte mir eine so mustergültige Sammlung an Heilsversprechen für Vitaminpräparate, dass ich nicht widerstehen konnte: Betagte Menschen, Junge, Frauen, Sportler, Menschen mit Stress, Raucher und wer noch alles laut lifeline von Vitaminen profitieren sollte! Die Texte neben den schön fotografierten »Risikogruppen« klangen verdächtig nach
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